Die Schule der Nackten
zu müssen. Soviel zur Vorgeschichte, vielleicht fällt mir noch mehr ein.
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Donnerstag.
Es schien ein weiterer ungebrochen blauer Badetag zu werden, an dem ich mich früh am Morgen in meiner Ecke einfand. Die eng beeinanderliegende Dame war schon da. Auch der unruhige Herr, mit einem Sonnenbrand, einem leuchtenden - er war insgesamt pinkrot und hatte sich, stark eingeölt, in den Baumschatten gelegt. Die Familie mit den Kindern fehlte auf ihrem Platz, dementsprechend bolzten die braunen Männer etwas weiträumiger bis zum Zaun hin, diesmal mit einem Ball. Ein ungebrochener, vor allem sehr heißer Tag versprach es zu werden, so daß ich um zehn Uhr etwa beschloß, zum Schwimmbecken zu gehen.
Dazu ein kurzer Überblick: Das Gesamtterrain der Nacktbader war wohl hundert mal zweihundert Meter groß, vielleicht sogar größer, nicht genau rechteckig, hier oben an meinem Ende breiter, dann zum Schwimmbecken hin schmaler zulaufend, während dieses, quergelagert, fast ein ganzes Fünftel des Geländes am unteren Ende ausmachte.
Vom Eingang her betrachtet, in dessen Nähe ich mich befand, war der «Pool» ein ferner blauer Strich, einem Meereshorizont vergleichbar, der sich hinter dem weiten Feld der lagernden braunen Leiber erstreckte. Oder um den Vergleich noch weiter zu treiben, hinter einem Kampfgetümmel von Bäuchen, Brüsten und gewaltigen Hinterteilen erschien er als blaue Vision, als ein fernes «Thalatha, das zu erreichen manch antiker Held gefallen sein mochte», so sah das aus.
Ich bin nie ein körperlicher oder sportlicher Mensch gewesen, meiner Muskulatur fehlte, wenn man so will, immer das Selbstbewußtsein. Obwohl ich sogar ein paar Muskeln habe. Wenn ich den Unterarm drehe, springt dort über dem Ellenbogen eine beachtliche Kugel hervor, vielleicht weil ich ausschließlich mit der Hand schreibe. Und meine Oberschenkel sind sogar hart, das kommt vom ständigen Treppensteigen. Wenn sich die Schere im ersten Stock nicht findet, und am Ende ist sie doch im ersten Stock, oder der Korkenzieher oder die Abrechnung über den Stromverbrauch, die können sich schließlich im Keller anfinden. Die tägliche Beanspruchung.
Jawohl, mein schönes Haus in der Gudrunstraße macht schöne Beine. Ich führe auch sonst ein angenehmes Leben mit einer Menge guter Freunde, die mich schätzen und lieben, und ich verfüge über ein angenehmes Äußeres, das ich zu nutzen weiß. Im angezogenen Zustand jedenfalls. - Jetzt hebe ich die Schultern, nehme sie etwas zurück, strecke die Beine, strecke auch die Arme, und dann tue ich etwas, was ich nie für nötig befunden hatte: Ich ziehe den Bauch ein.
Es ist ein paar Jahre her, als ich in Ostia, im «Phämalion» die Alexander-Rüstung bewundern durfte, seinen Brustpanzer. Nun ist das möglicherweise eine Nachahmung aus römischer Zeit (um 40 v.Chr.), es ist nicht sicher, so wie ja die gesamte römische Antike sowieso eine Nachahmung der griechischen ist. Ich habe den Alexander-Mythos immer als einen kleinen Geschichtsfehler empfunden, jedenfalls in der Form, in der er angeboten wird, er ist sicherlich römischen Ursprungs, und das Jahr 320 v.Chr. sollte man besser durch 20 v.Chr. ersetzen (!). Nichtsdestoweniger benimmt es einem den Atem, nach über zweitausend Jahren die nachweislich wirkliche Statur des größten Mannes der antiken Geschichte vor sich zu sehen, denn es handelt sich um denselben Torso, den die Völkerschaften der damaligen Zeit zu sehen bekamen, also seinen leibhaftigen. Was immer darunter gesteckt haben mag.
Die beiden gewaltigen Quadrate der Brustmuskeln, die Deltas und Trapeze der Rückenmuskulatur sind scharf herausgearbeitet, massiv gewölbt, ohne den leisesten Ansatz von Fett. Dagegen steht ein feines Sägemuster der Zwischenrippenmuskeln beiderseits, während die kurzen und besonders die langen Bauchmuskeln neben und unterhalb des tiefangesetzten Nabels vollkommene Bretthärte suggerieren. Stark, männlich und ideal.
So ausgestattet, schritt Alexander durch die Phalanx seiner Feinde. Vergoldet, schimmernd in Elektron, die Schultern gehoben, Beine ausgestreckt, Bauch zurückgenommen. Es waren wohl nicht mehr als hundert Schritt zu gehen, aber welch hundert Schritt! Ganz vorn lag ein Liebespaar ausgebreitet auf zwei übergroßen Decken, dahinter ein Mann mit unreiner Haut und einem Buch «Die Katzelmacher», danach ein geräumigeres Dreieck, besetzt mit einer Großfamilie von zwei Frauen, drei Männern, einem Säugling im Korb und etlichen Kindern, die
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