Die Schule der Nackten
anscheinend hatte er in zwanzig Jahren, seit Bestehen der Zoohandlung nicht soviel verkauft, insgesamt.
«Also gut», sagte ich, «hundertsechzig.»
*
Die natürlich erst einmal bestellt werden mußten. Und dann dauerte es auch noch eine Weile. Juliane hatte noch ein paar Mal vergeblich angerufen, dachte wohl, ich sei verreist, bis ich schließlich an einem besonders düsteren Tag, Anfang November, den Hörer abnahm:
«Bist du es?»
«Geht es dir gut», fragte sie besorgt.
«Es ging mir nie besser», erwiderte ich, «im Sommer geht es mir immer gut, wie geht es dir?»
«Nicht so sehr, wir haben Winter, ich mag ihn nicht.»
«Wir haben vielleicht Winter, vielleicht auch nicht», sagte ich geheimnisvoll, «und vie lleicht habe ich eine Überraschung für dich, warum kommst du nicht und siehst sie dir an.»
«Was ist es?»
«Sieh sie dir an.»
Rätselhaft.
Als sie kam, hatte sie - was sie noch nie getan hatte, solange ich sie kannte - Lippenstift aufgelegt. Sie trug eine unglaublich häßliche Jacke, knielang, himbeerrot und unförmig dick gefüttert. Aber als sie sich herausschälte, war ich zwar darauf vorbereitet, trotzdem blieb mir wie immer das Herz stehen.
«Mein Gott», sagte ich, «was tust du mir an.»
Dieses Mal aber hatte sie übertrieben, steckte in einem unglaublichen Fummel, so nennt man das wohl, aus extrem dünnem Stoff, der überall anklebte, tangofarben und völlig unschuldig (natürlich nicht!). Hatte sogar ein hypnotisches «Poison» aufgelegt, was sie auch noch nie getan hatte, was, fragte ich mich, will sie beweisen, weiß sie nicht, wohin das führt, wohin wir jetzt zwangsläufig gehen müssen - wo wir alles ablegen, alle Vernunft, alle Einsicht und besseres Wissen -, sie blitzt und strahlt und dreht sich, damit ich sehen kann, wie schön sie ist. Meine Schöne, meine Leuchtende. Immerwiederkehrende. Vielleicht früher einmal, in einem früheren Leben (früheren Sommer) wäre sie damit davongekommen, jetzt nicht mehr.
Meine Göttin.
Meine Ritualgöttin.
Wie sie die prunkvollen Hüften herausschwang, wie sie die Stufen aufstieg, Erde und Mond darstellend, ausladend unter der stengeldünnen Taille. Ich war versucht, der Dame den anklebenden Fummel glattzuziehen, ordentlich über die Gesäßbacken, um mir damit eine fällige Ohrfeige einzuhandeln, wie sehr hätte ich mir das gewünscht.
«Aber dich darf man ja nicht berühren.»
Sie lachte silberhell.
Das war eigentlich immer das Übelste gewesen, daß sie immer silberhell gelacht hatte.
«Ist es hier?»
«Ja, hier ist es», sagte ich, «und Vorsicht, Stufe.»
Es waren zwei Stufen, und die Tür war zwar etwas abgesägt, insgesamt aber höher gesetzt worden, wie ein hochgelegener Eingang zum Zwischenstock. Ich ließ sie vor mir eintreten, ließ sie auch das Licht anknipsen, das heißt, eigentlich war es gar kein Licht, das sie hier anknipste - diesen Effekt hatte ich mir sorgsam aufgespart. Schon während der Nacht hatte ich die Heizung groß aufgedreht, so daß der Sand gut aufgeheizt, glühend heiß oder wenigstens ausreichend warm war, und das Licht, das sie anknipste, war schwarz: Es war schwarzes Licht!
– – –
Ja, die Wirkung verblüffte mich immer wieder selbst, immer wenn das Licht anging. Ich will mich nicht allzusehr loben, aber dieses hier war ein Meisterwerk, ein ausgesprochener Überraschungseffekt, der auf den Eintretenden wartete. Da hatten also meine Elektriker ringsum in den oberen Ecken schwarze Birnen installiert, sämtlich mit 1ooo Watt effektiver Leistung und so plaziert, daß rundum eine gleichmäßige Ausleuchtung stattfand. Ich darf noch einmal ganz technisch werden, es ist mir wichtig.
Vorausgegangen war ein Besuch des Technischen (Deutschen) Museums, eines weiteren Glanzstücks Münchens - inselartig mitten in der Isar gelegen -, das ich mir, zusammen mit Besuchern aus aller Welt, alle paar Jahre einmal gönne. Es ist vollgestopft mit galvanischen Geräten, Induktionsapparaten, Pumpen und Hebevorrichtungen, ja, ganzen Bergwerken und Kommandobrücken von Ozeandampfern. Ich will nicht zu weit ausholen, nur soweit es die Authentizität angeht.
In Raum IV der Abteilung Optik nämlich steht ein mannshoher Glaskristall auf vier Stahlbeinen, das «Möller’sche Prisma», eine Weltrarität wegen der tonnenschweren Glasmasse der Kategorie Eins (gefertigt von Liebstöckel-Jena, ursprünglich Ausstellungsstück auf der Pariser Weltausstellung von 1893). Dieses Monstrum also zerlegt das Licht einer
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