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Die Schule der Nackten

Die Schule der Nackten

Titel: Die Schule der Nackten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Augustin
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giftiger Käfer dazu.
    Folsäure also ist die wirksame Substanz des Sonnenschutzes. Sie ist ein Histaminblocker, und zwar in geringster Konzentration, in einer Verdünnung von 1: 1oooooo Mikro e (das bewegt sich in fast homöopathischen Bereichen: ein Tropfen auf den Starnberger See), in dieser Form ist sie in fast allen aktiven Sonnenschutzmitteln enthalten. In höherer und höchster Konzentration aber - und hier kommt nun die eigentliche, wirkliche und, wenn man will, wirklich bedrohliche Information -, in hoher Konzentration ist sie ein Histaminloc ker!
    Wie ist das zu verstehen?
    Ich habe mich über dieses Phänomen unter dem Titel «paradoxe Reaktion» ausführlich belesen: Dieselbe wirksame Substanz bewirkt ab eines gewissen Schwellenwerts plötzlich das Gegenteil, setzt in diesem Fall Histamin sogar gesteigert frei! So daß sie alle unerfreu lichen Symptome, die sie ja als Sonnenschutzmittel verhindern soll, geradezu hervorruft.
    So gelesen im «Handbuch der Inneren Medizin» (S. 1079-1089), oder wenigstens glaube ich, mich so belesen zu haben. Demzufolge allerdings könnten alle Wirksubstanzen im Endeffekt und unter entsprechenden Umständen gegenteilige Wirkung haben. Es ist ein weites Feld, ein bedrohliches auf jeden Fall.
    Die Schrittmacher verursachen Stillstand, die Vitamine werden zu Antivitaminen, die fiebersenkenden Mittel erzeugen Fieber.
    Das hat mich dann aber nicht mehr interessiert.

    *

    Den Rest des Tages - nachdem ich gegen zwei Uhr im gelbgestrichenen Teeraum «Marco Polo» in der unteren Etage einen späten Imbiß genossen hatte - verbrachte ich dann damit, meine Spur zu verwischen.
    Man muß wissen, daß diese großen computergesteuerten Bibliotheken heutzutage jeden Ausleihvorgang registrieren und auch fixieren, so daß man selbst nach einem Jahr noch nachprüfen kann, ob man seinerzeit das Wort «depillidatêer» im Baur oder im Rosenfeld nachgeschlagen hatte. Nicht, daß es etwas ausmacht, ich weiß auch nicht, wie lange die Daten gespeichert werden, vielleicht bloß drei Tage.
    Immerhin.
    Über Blocker, Locker, Lockspeise gelangte ich zu den Lockvögeln und deren Eiern, landete schließlich wieder bei Chamisso, um von dort über die Beck’sche Krankheit unter dem Schlagwort «Drehmoment», und Drehungen an sich, bei den ganz frühen Vermutungen einer Achsendrehung der Erde anzulangen (Heraklit) und dem Satz «die Stadt Anus wimmelte von Hirodulen», die ja wirklich nichts in meinen Nachforschungen zu suchen hatten. Immerhin meinte ich, damit genügend falsche Fährte gelegt zu haben.

20

    Man kann sie nicht kaufen. Man kann nicht hingehen und sagen: Geben Sie mir einen Viertelliter Folsäure, zu welchem Zweck auch immer. Es gibt auch keine Rezeptur, etwa: Pteroylglutaminacidose 1 OP. Denn wer sollte sie ausschreiben.
    Aber!
    Man kann Eutefix kaufen. Also, auf diese Entdeckung bin ich stolz, und es hatte mich zwei Wochen gekostet, bis ich Eutefix entdeckte: Eutefix wird zur Beseitigung des lästigen Milchsteins in Melkanlagen benutzt, es löst den Stein mittels Gärprozesses, ein in dieser fernen Branche durchaus handelsübliches Produkt, und – – – es ist reine Folsäure.
    Im Endeffekt - da es nicht in kleinen Mengen erhältlich war - habe ich wohl den vollen Monatsbedarf eines Molkereibetriebes gekauft, zumindest war das Säckchen, das ich zu tragen hatte, ziemlich schwer. Und damit man sich an keine Autonummer erinnerte, bin ich zu Fuß draußen gewesen: Großkäserei «Frischdienst GmbH», Dingolfing. Das ist auch eine Eigenheit Münchens, daß es gleich hinter dem letzten U-Bahnhof völlig ländlich zugeht. Da breiten sich zu dieser Zeit Stoppelfelder aus, ganz im Jahresrhythmus, die Stoppeln reichen praktisch bis zum Fahrkartenschalter, faules Obst liegt noch immer unter den Bäumen, man tritt in Kuhdung, und über allem liegt eine säuerlich nahrhafte Odelluft. - München in den Außenbezirken.
    Landwirtschaftlich und zugleich industriell.
    Ich war mir nicht sicher, ob ich hier den richtigen Ton anschlug, immerhin trug ich Gummistiefel, mit denen ich durch die Molkepfützen watete. Es herrschte ein durchgehend scheppernder Betriebslärm auf dem Gelände, Milcheimer wurden gestoßen, Rundtanks aus Italien knallten auf den Zementboden, und der Geruch: Milchkrusten und blaue Kulturen. Das Ganze aber trotzdem sehr reinlich.
    In einem Büroverschlag in der Ecke der Halle geriet ich dann an einen Mann in gestreiftem Hemd, der sich für mich überhaupt nicht

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