Die Schule der Robinsons
Los diesem Unglücklichen bevorstehe. Der Bratspieß war errichtet, um ihn zu schmoren!… Tartelett hatte sich gestern also nicht getäuscht, als er, einer Ahnung folgend, diese Leute für Cannibalen ansah.
Man muß wohl zugeben, daß er sich auch nicht mehr getäuscht haben würde, wenn er gesagt hätte, daß alle wahren oder erfundenen Robinsoniaden von einander nur abgeklatscht seien. Unzweifelhaft befanden Godfrey und er sich jetzt ganz in der nämlichen Lage, wie der Held Daniels de Foë, als die Wilden an dessen Insel landeten; Beiden stand jetzt in Aussicht, einer ganz ähnlichen Scene von Cannibalismus beizuwohnen.
Nun, Godfrey war entschlossen, es jenem Helden gleichzuthun. Nein, er konnte den Gefangenen, auf den sich die Magen der Menschenfresser schon freuten, nicht hinmorden lassen! Er war ja gut bewaffnet. Seine zwei Doppelflinten – mit vier Schüssen – seine beiden Revolver – mit zwölf Schüssen – mußten wohl unschwer mit jenen elf Schurken fertig werden, welche zu verjagen vielleicht schon das Krachen eines Gewehrschusses hinreichen würde. Nachdem er sich hierüber klar geworden, wartete er höchst kaltblütig den geeigneten Augenblick ab, mit einem Donnerschlage zu interveniren.
Er sollte nicht lange zu harren haben.
Kaum waren zwanzig Minuten verstrichen, als der Häuptling an das Feuer herantrat. Dann wies er die Eingebornen, welche seiner Befehle warteten, durch eine Handbewegung auf den Gefesselten hin.
Godfrey erhob sich; Tartelett that, ohne zu wissen warum, desgleichen. Er durchschaute auch noch nicht, was sein Begleiter zu thun gewillt war, da dieser ihm von seinem Vorhaben nicht gesprochen hatte.
Godfrey meinte offenbar, daß die Wilden bei seinem Anblick irgend welche Bewegung machen würden, entweder um nach ihrem Fahrzeuge zu entfliehen oder sich auf ihn zu stürzen…
Doch es geschah nichts. Es schien sogar, als ob er gar nicht bemerkt worden sei; dagegen machte der Häuptling gerade jetzt eine sehr bezeichnende Geste… Drei der Männer begaben sich zu dem Gefangenen, banden ihn los und zwangen ihn, an die Seite des Feuers zu treten.
Es war noch ein junger Mann, der im Vorgefühl seiner letzten Stunde Widerstand zu leisten versuchte. Entschlossen sein Leben nur so theuer als möglich zu verkaufen, stieß er die ihn haltenden Eingebornen zurück, er wurde jedoch bald überwältigt, niedergedrückt, und der Häuptling, der eine Art Steinaxt ergriffen, kam auf den Unglücklichen zu, um ihm den Schädel zu zerschmettern.
Godfrey stieß einen Schrei aus, dem sofort ein Knall folgte. Eine Kugel pfiff durch die Luft und mußte den Häuptling tödtlich getroffen haben, denn dieser stürzte zu Boden.
Beim Krachen des Schusses erstarrten die Wilden vor Schreck, so, als hätten sie noch niemals einen Gewehrschuß vernommen. Beim Erblicken Godfreys ließen die Männer, welche den Gefangenen noch hielten, diesen sogleich frei.
In demselben Augenblick erhob sich der arme Teufel und lief nach der Stelle, wo er seinen unerwarteten Erretter erblickte, hin.
Da donnerte schon ein zweiter Schuß.
Das war Tartelett, der, ohne zu zielen – o, der vortreffliche Mann hatte die Augen dabei ganz fest zugemacht – geschossen hatte, und der Kolben des Gewehres versetzte ihm dabei einen so kräftigen Schlag auf die rechte Wange, wie wohl noch niemals ein Lehrer des Tanz-und Anstands-Unterrichtes einen solchen erhalten hatte.
Doch – was nicht der Zufall vermag! – ein zweiter Wilder sank neben dem Häuptling zusammen.
Jetzt entstand eine kopflose Flucht. Vielleicht fürchteten die Ueberlebenden eine so große Zahl von Inselbewohnern sich gegenüber zu haben, daß sie denselben unmöglich widerstehen könnten; vielleicht waren sie auch nur unmäßig erschrocken über den Anblick dieser beiden Weißen, welche den Blitz aus der Tasche zu schleudern schienen. So rafften sie also die beiden Verwundeten auf, schleppten dieselben mit fort, stürzten sich in ihren Prao und handhabten die Pagaien mit aller Kraft, um aus der kleinen Bucht herauszukommen; dann entfalteten sie das Bambussegel, mit dem sie den Seewind abfingen, steuerten auf den Vorberg der Flaggenspitze zu und waren sehr bald hinter demselben verschwunden.
Godfrey kam es nicht in den Sinn, dieselben zu verfolgen. Weshalb hätte er auch noch mehrere tödten sollen? Er hatte ihr Schlachtopfer gerettet und sie in die Flucht gejagt, das war die Hauptsache. Alles das verlief in einer Art und Weise, daß die Cannibalen gewiß nicht
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