Die Schule der Spielleute
täuschte sie sich? Sie ging die Treppe hinauf, und ihre Holzschuhe klapperten laut auf den Stufen. Nun gab es nichts mehr zu hören.
FREITAG VOR OCULI
Nach dem Frühstück sperrte Burkhard den Stall auf. Einer nach dem anderen holten die Spielleute ihre Instrumente heraus und trugen alles in die Gaststube. Zum Schluss trat Alheit ein und nahm die Flöte aus der Kiepe. Die Schalmei fehlte. Franz hatte sie nicht mitgenommen, das wäre ihr aufgefallen. Sie untersuchte den Inhalt des Korbes genauer, wieder ohne Erfolg.
Hatte er sie etwa gestern Abend doch Werner gegeben? Auch das wäre nicht unbemerkt vonstatten gegangen. Aber Werner hätte leicht selbst das Instrument an sich nehmen können, ohne zu fragen.
Das schien ihr die wahrscheinlichste Erklärung. Den Schlüssel zum Stall hatte der Wirt über Nacht wohl sicher verwahrt.
Hatte Werner gesagt, wo er wohnte? Irgendwo südlich des Marktplatzes, dort hatten sie ihn zuerst gesehen. Das genügte nicht, um ihn wiederzufinden. Alheit hatte große Lust, Franz aus der Gaststube zu holen und von ihm zu erfahren, was geschehen war. Aber sie konnte ebenso gut Johann Schure fragen, ob er Werners Quartier kannte. Den Streit mit Franz verschob sie lieber auf später.
ťIch gehe auf den Markt und suche nach ihmŤ, verkündete sie, obwohl niemand zu sehen war.
ťWieso? Was fehlt?Ť, fragte Burkhard hellhörig.
Alheit fuhr herum. Sie hatte den Wirt ganz vergessen. ťMeine SchalmeiŤ, antwortete sie.
ťGottes heiliger Schwanz!Ť Burkhard griff nach seinem Schlüsselbund. ťAber da war heute Nacht keiner dran.Ť
ťDie hat gestern Abend schon jemand mitgehen lassenŤ, erwiderte Alheit düster.
ťDoch nicht der große Unbekannte?Ť Burkhard glaubte offenbar nicht an den Eindringling.
ťNein, ich kenne ihn wohl recht gut. Und jetzt gehe ich ihn suchen.Ť
ťAch so, der.Ť Burkhard grinste. ťDa wünsche ich viel Glück.Ť
ťWieso? Weißt du, wo er steckt?Ť
ťNein, aber Kerle von dieser Sorte kommen öfter hier vorbei. Bei denen ist nichts zu holen.Ť
ťIch muss es jedenfalls versuchen.Ť Damit ließ sie ihn stehen.
Ein kalter Wind fegte durch die Gasse, als Alheit vor das Hoftor trat. Sie zog ihren Mantel enger um sich und lugte unter der Kapuze hervor, ob sie wohl den Buckligen entdecken konnte, doch er war nicht auf seinem Posten. Den Juden, den er belauern sollte, hatte sie auch noch nicht gesehen. Sie kehrte zurück zur Gaststube und öffnete vorsichtig die Tür.
Meister Wolfram dirigierte mit viel Schwung seine Sänger, dass die Falten seiner langen Cotte nur so flogen. Israel war nicht unter ihnen. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Noch ein jüdischer Feiertag?
Alheit schloss die Tür leise und eilte hinaus auf die Kämmerergasse und zum Marktplatz. Der Wind trieb sie schneller voran, als ihre Füße sie tragen wollten. Wieder musste sie nur den kurz angespielten Melodien nachgehen, mit denen Spielleute einen Dudelsack ausprobierten. Als sie den Stand, wo sie sich Auskunft erhoffte, entdeckte, ging Alheit schnurstracks auf den Händler los. ťWo wohnt Werner?Ť
Johann Schure warf ihr einen kurzen Blick zu und erklärte seinem Kunden, was er mit dem einfachen Rohrblatt der Bordunpfeife tun konnte und was er besser unterlassen sollte.
Wütend schaute sich Alheit um, ob nicht ein anderer ebenso Auskunft geben könnte. Da gab es doch diesen Schalmeibauer, von dem alle so schlecht redeten. Er sollte näher am Marktplatz zu treffen sein. Sie machte kehrt und entdeckte in der Tat bald ein schmutzig graues Zelt, in dem Schalmeien in allen Größen zu sehen waren. Mitten darin saß ein ebenso grauer, magerer Mann und schabte seelenruhig an einem Rohrblatt. Kundschaft hatte er keine. Das musste dieser Gerlach von der Heide sein.
Alheit eilte zu ihm. ťWo wohnt Werner?Ť
Der Händler sah von seiner Arbeit auf. ťWelcher Werner?Ť
Alheit atmete hörbar aus. ťWerner, der früher Schalmei gespielt hat, aber sein Instrument verloren oder versoffen oder verspielt hat und deshalb jetzt Psalter spielt.Ť Sie musste überlegen, wie der Kerl überhaupt aussah.
ťDer immer hier herumlungert, als wollte er etwas kaufen, aber kein Geld hat?Ť, fragte der Händler nach.
Alheit nickte hoffnungsvoll.
ťDas weiß doch ich nicht, wo der wohnt. Der soll mir nur vom Leib bleiben.Ť
Ohne ein weiteres Wort wandte sich Alheit ab und lief zurück zu Johann Schure, der sich streckte, um einen Dudelsack zurück auf die Leine zu hängen. Als das geglückt war, wandte er sich zu ihr
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