Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Svalan, katten, rosen, döden
es hätte schlimmer sein können. Und es gab andere Leben, die sinnloser waren als seines.
Dann begann er, über Relativismen nachzudenken. Darüber, ob das Unglück anderer Menschen sein eigenes größer oder kleiner machte – darüber, ob es tatsächlich in der Welt so armselig und erbärmlich eingerichtet war, dass dieser Relativismus der einzige Grund dafür war, etwas als gut oder schlecht anzusehen, und dann war da auf einmal jemand, der versuchte, seine Aufmerksamkeit zu erwecken…
Ein paar gekünstelte Huster und ein vorsichtiges »Hallo« waren aus dem vorderen Raum zu hören. Er überlegte schnell, ob er sich zu erkennen geben sollte oder nicht. Stand dann doch auf und tat es.
Sechs Monate später war er immer noch nicht sicher, ob das die richtige Entscheidung gewesen war.
Der Mann war in den Dreißigern. Groß und mager und mit einem Gesicht, das sich alle Mühe gab, hinter einem langen Pony, einem dunklen Bart und einer Brille möglichst wenig von sich preiszugeben. Eine leichte Nervosität schien ihn wie ein schlechter Körpergeruch zu umgeben, und Van Veeteren hatte kurz die Assoziation von einem Verdächtigen, der versucht, sich vor einem entscheidenden Verhör zu sammeln.
»Jaha?«, fragte er. »Kann ich mit irgendetwas helfen?«
»Das hoffe ich«, sagte der Mann und streckte die Hand vor. »Wenn Sie Van Veeteren heißen. Mein Name ist Gassel. Tomas Gassel.«
Van Veeteren begrüßte ihn und bestätigte, dass er der Richtige war.
»Sie müssen entschuldigen, dass ich auf diese Art und Weise Kontakt mit Ihnen aufnehme. Mein Anliegen ist etwas delikat. Haben Sie ein wenig Zeit?«
Van Veeteren schaute auf die Uhr.
»Eigentlich nicht«, meinte er dann. »Ich habe in einer halben Stunde einen Termin beim Zahnarzt. Wollte für heute gerade schließen.«
»Verstehe. Würde es dann morgen besser passen?«
Van Veeteren schüttelte den Kopf.
»Leider nicht. Ich verreise morgen. Worum geht es denn?«
Gassel zögerte.
»Ich muss mit Ihnen sprechen. Aber ich fürchte, ein paar Minuten reichen dafür nicht. Die Sache ist nämlich die, dass ich in eine Situation geraten bin, die ich nicht bewältigen kann. Weder berufsmäßig noch als Privatperson.«
»Was meinen Sie mit berufsmäßig?«
Gassel sah ihn einen Augenblick lang verwundert an. Dann streckte er seinen Hals und hob den Bart mit der Hand hoch. Van Veeteren konnte den weißen Priesterkragen erkennen.
»Ach so, ich verstehe.«
»Sie müssen entschuldigen. Ich vergesse immer, dass es nicht gleich ins Auge fällt. Ich bin Kaplan in der Gemeinde von Leimaar hier in der Stadt.«
»Aha?«, sagte Van Veeteren und wartete auf eine Fortsetzung.
Gassel strich seinen Bart wieder zurecht und räusperte sich.
»Die Sache ist also die, dass ich mit jemandem reden muss. Mich beraten, wenn Sie so wollen. Ich befinde mich in einer Lage, die… in der meine Schweigepflicht im Konflikt mit dem steht, was meine moralischen Gefühle mir zu tun gebieten. Einfach ausgedrückt. Es ist bereits eine Weile vergangen, und ich fürchte, dass etwas äußerst Unangenehmes geschehen wird, wenn ich keine Maßnahmen ergreife. Etwas äußerst Unangenehmes und… Ungesetzliches.«
Van Veeteren suchte in der Brusttasche nach einem Zahnstocher, erinnerte sich dann aber daran, dass er mit dieser Gewohnheit vor eineinhalb Jahren gebrochen hatte.
»Und warum wenden Sie sich ausgerechnet an mich? Sie werden doch einen Hirten in Ihrer Gemeinde in Leimaar haben, der Ihnen in so einer Situation viel näher stehen müsste?«
Gassel schüttelte abwehrend den Kopf.
»Das könnte man annehmen. Aber bei derartigen Fragen befinden wir uns nicht gerade auf einer Wellenlänge, der Pastor Brunner und ich. Leider. Ich habe das Ganze natürlich auch schon in Erwägung gezogen, und… nein, es ist ganz einfach nicht möglich, die Sache auf diese Art zu handhaben. Sie müssen mir das glauben.«
»Und warum sollte ich es besser handhaben können? So viel ich weiß, sind wir uns noch nie begegnet.«
»Verzeihen Sie mir«, wiederholte Gassel verlegen und wechselte das Standbein. »Ich muss Ihnen natürlich erklären, woher ich Sie kenne. Ich weiß, dass Sie bei der Polizei aufgehört haben, und das ist genau der Grund, warum ich mit Ihnen reden kann. Ich habe ihr nämlich mein heiliges Ehrenwort gegeben, mit dieser Geschichte nicht zur Polizei zu gehen, sonst hätte ich überhaupt nichts von ihr erfahren… auch wenn ich mir natürlich schon hatte zusammenreimen können, dass da etwas
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