Die Schwarze Armee 01 - Das Reich der Träume
stehen und warte. Es ist Sombra. Er hat mich gesehen, sagt aber nichts. Er wirft mir nur einen komplizenhaften Blick zu und verschwindet in der Dunkelheit.
»In diesem Haus gibt es immer mehr Ratten«, höre ich ihn noch brummen.
Ich schleiche zurück in mein Zimmer und lege mich ins Bett. Während ich einschlafe, denke ich an meine Mutter.
VII
Ein Schwur wird gebrochen
N ervös ging Arquimaes in der kleinen, dunklen Zelle auf und ab, die für seinen geliebten Arturo zum Grab zu werden drohte. Ihm war klar, dass ihm niemand zu Hilfe eilen würde. Morfidio jedenfalls kannte kein Erbarmen, es sei denn, er enthüllte ihm das große Geheimnis. Doch das würde Arquimaes niemals tun.
Betrübt betrachtete er den sterbenden Körper seines Schülers. Der Alchemist hatte alles getan, was in seiner Macht stand, um Arturos Leben zu retten, doch seine Bemühungen waren vergebens gewesen.
Wenn ihm doch nur die nötigen Mittel zur Verfügung gestanden hätten! Arquimaes war in der Lage, einen schwer Verwundeten dem Tode zu entreißen. Aber dafür benötigte er Salben, Kräuter und Mixturen. Und genau das verweigerte ihm der niederträchtige Graf, um ihn unter Druck zu setzen.
Der alte Mann blickte durch das vergitterte Fensterloch in den dunklen Nachthimmel. Nur wenige Sterne zeigten sich zwischen den vielen Wolken. Und plötzlich fühlte er sich so allein und verlassen wie einer dieser Sterne am Firmament.
Dunkle Wolken verdeckten den Mond, und in der Ferne war das Geheul der Bestien zu hören, die sich des Nachts auf die Suche nach frischer Beute machten.
Arquimaes wusste, dass es die Hexenmeister waren, die diese Wesen der Finsternis in die Nacht hinausschickten, sie aufhetzten und in blutrünstige Tiere verwandelten. Dadurch sollten die unwissenden Bauern erschreckt und gezwungen werden, überhöhte Steuern als Schutzgebühr zu zahlen. Diejenigen, die sich der Macht der finsteren Hexenmeister ergeben hatten, die geforderten Abgaben an sie zahlten und ihnen huldigten, waren vor den Attacken der wilden Tiere sicher. Diese Bestien waren das Ergebnis schwarzer Magie, einer Magie, die auch Arquimaes sehr wohl kannte. Doch er hatte geschworen, sich dieser unseligen Hexerei niemals zu verschreiben.
Nun aber kamen ihm Zweifel, ob er sein Versprechen halten konnte. War Arturos Leben nicht mehr wert als sein Ehrenwort? Durfte ein Mann seine Schwüre brechen, um das Leben eines Freundes zu retten?
Nach Stunden des Grübelns und Zögerns kniete Arquimaes schließlich neben Arturos Körper nieder, ergriff mit der Rechten dessen Hand und legte ihm die Linke auf die Brust. Dann schloss er die Augen und konzentrierte sich. Er hörte die schwachen Herztöne seines Schülers, öffnete die Lippen und begann leise, eine getragene Melodie zu singen. Seine wohltönende Stimme drang dem Sterbenden ins Ohr und durchströmte seinen Körper. Arquimaes drückte leicht auf das Herz des Jungen und fuhr mit seinem melodischen Gesang fort, bis die ersten Sonnenstrahlen in die Zelle fielen und ihre schmutzigen, kalten Wände in ein warmes Licht tauchten, das den neuen Morgen ankündigte.
* * *
In den späten Morgenstunden stieg Morfidio die Treppe zu Arquimaes’ Kerker hinunter. Er war überzeugt, dass der Weise angesichts seines sterbenden Gehilfen endlich bereit sein würde zu sprechen.
Mehrere Diener begleiteten den Grafen. Sie trugen verschiedene Gefäße, Reagenzgläser, Schatullen und andere Gegenstände, die sie in der Nacht der Verschleppung aus dem Turm in Drácamont entwendet hatten.
Der Anblick der Medizinen und Geräte, die notwendig waren, um das Leben des Jungen zu retten, würde dem Alchemisten schon die Zunge lösen. Dessen war sich Morfidio sicher.
»Aufschließen!«, befahl er der Wache und blieb vor der Kerkertür stehen.
Der Graf hörte, wie der Schlüssel im Schloss knirschte. Aufregung hatte ihn erfasst, stand er doch kurz davor, in die Geheimnisse der Unsterblichkeit eingeweiht zu werden.
»Alchemist, ich habe mich entschlossen, großherzig zu sein«, sagte er. »Ich bringe dir alles, was nötig ist, um …«
Doch plötzlich verschlug es ihm die Sprache: Arturo stand mitten in der Zelle, lächelnd, gesund und munter, als wäre nichts geschehen. Von der Wunde war nichts mehr zu sehen.
»Arturo geht es gut, Graf. Ich glaube, wir brauchen keine Medizin«, sagte Arquimaes mit beeindruckender Gelassenheit.
Morfidio brachte kein Wort heraus. Sein Verstand war unfähig, diese Situation zu begreifen. Mit einem Schlag
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