Die Schwarze Armee 01 - Das Reich der Träume
Vaters gewonnen. Vielleicht ist es ja gut, dass mein Vater jemanden gefunden hat, mit dem er seine Geheimnisse teilen kann. Seit meine Mutter tot ist, pflegt er kaum noch Kontakte.
Und wenn Strombers Anwesenheit dazu dient, meinen Vater ein wenig aufzuheitern, dann soll er mir willkommen sein.
* * *
Ich gehe in mein Zimmer, um mich vor dem Abendessen noch ein bisschen hinzulegen. Es war ein anstrengender Tag, ich bin müde. Seit Langem ist mir DAS nicht mehr passiert.
Außerdem wird es für mich immer schwieriger. Der einzige Lehrer, der nett zu mir war und mich verteidigt hat, Señor Miralles, geht fort. Wer weiß, wie seine Nachfolgerin ist.
Meine Wange tut mir weh. Ich gehe ins Bad und betrachte mich aufmerksam im Spiegel. Doch man sieht nichts, die Haut ist nur ein wenig gerötet. Die Flecken haben sich wieder gleichmäßig auf meinem Gesicht verteilt und auf meiner Stirn prangt nach wie vor der Drachenkopf.
Irgendwann werde ich mich dem Problem stellen müssen, das weiß ich; aber erst mal soll alles andere in Ordnung kommen. Ich will meinen Vater nicht auch noch damit belasten, jetzt, da sich unsere finanzielle Lage offenbar zugespitzt hat.
Später, als ich im Bett liege, fühle ich mich einsam. Es ist mitten in der Nacht, wahrscheinlich schlafen alle anderen schon. Das ist der richtige Moment für das, was ich am liebsten mache.
Ich schleiche mich aus meinem Zimmer, die Taschenlampe in der Hand. Vorsichtig schließe ich die Tür und gehe leise die Wendeltreppe hinauf, Schritt für Schritt. Oben angekommen, schließe ich die Tür zum Dachboden auf, dessen Decke sich wie eine Kuppel über das Haus wölbt.
Drinnen ist es stockfinster. Nur durch die Dachluke dringt etwas Licht. Ich richte den Strahl meiner Taschenlampe auf das alte Sofa, das mitten im Raum steht. Es ist mit einem Laken bedeckt – wie fast alles, das hier oben aufbewahrt wird.
Ich nehme das Tuch von dem großen Bild, das an der Wand hängt. Dann setze ich mich aufs Sofa und betrachte das Gemälde von meiner Mutter. Sie sieht wunderschön aus mit dieser Frisur und dem prächtigen Kleid. Angeblich hat sie es oft getragen, damals, als noch alles in Ordnung war.
Schon vor Jahren hat mein Vater beschlossen, dieses Bild hier auf dem Dachboden aufzuhängen. Er sagt, es tue ihm zu weh, meine Mutter täglich sehen zu müssen. Es wurde ein paar Tage vor ihrer gemeinsamen Reise nach Ägypten fertiggestellt, deswegen hängen schlechte Erinnerungen daran.
Ich liebe dieses Bild. Mamas Blick ist so heiter, so offen und direkt, dass man das Gefühl hat, sie hätte nur Augen für den, der sie ansieht. Für mich. Sie wirkt richtig lebendig.
»Hallo, Mama. Ich war lange nicht mehr hier, aber heute musste ich einfach mit dir sprechen. Ich mache mir Sorgen um Papa. Er ist besessen von dieser Forschungsarbeit, die kein Ende nehmen will. Vorhin habe ich gehört, dass er schon vor meiner Geburt damit angefangen hat. Er hat es während des Gesprächs mit Stromber erwähnt, aber er will mir einfach nicht erzählen, worum es dabei geht.
Ich muss irgendwas tun, damit er sich von seiner Erkältung erholt und mal an was anderes denkt. Er arbeitet pausenlos, wie einer von diesen alten weisen Männern früher, die sich für nichts anderes interessiert haben als für ihre Arbeit. Das macht ihn noch kaputt! Was treibt er, Mama? Woran arbeitet er? Ich weiß, dass du mir nicht antworten kannst, aber irgendwen muss ich doch fragen. Sombra sagt mir ja nichts.«
Ich stehe auf und streiche mit der Hand über die Leinwand des Bildes. Ich glaube, ihren Atem an meinen Fingerkuppen zu spüren. Als würde sie leben.
»Ich brauche dich, Mama! Du weißt nicht, wie sehr wir dich brauchen, Papa und ich!«
Mir laufen Tränen über die Wangen, obwohl ich nicht will, dass sie mich weinen sieht. Sie soll doch denken, dass ich glücklich bin.
»Weißt du, heute ist Señor Stromber angekommen, ein etwas exzentrischer Antiquitätenhändler. Vielleicht tut seine Anwesenheit Papa ja gut. Obwohl ich ihn irgendwie seltsam finde. Er will hier forschen, sagt er. Vielleicht werden die beiden ja gute Freunde.«
Ich werfe ihr eine Kusshand zu.
»Also, ich geh dann mal wieder nach unten. Danke, dass du mir zugehört hast. Bald besuche ich dich wieder. Adiós, Mama. Und mach dir keine Sorgen um uns. Wir werden es schon schaffen.«
Vorsichtig bedecke ich das Bild wieder mit dem Tuch und schleiche mich vom Dachboden. Als ich die Wendeltreppe hinuntergehe, höre ich ein Geräusch. Ich bleibe
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