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Die schwarze Feder

Die schwarze Feder

Titel: Die schwarze Feder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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ist, darf ich nicht bekommen. Was Hartes und Schweres auch nicht. Taschenbücher sind wohl okay.«
    Der Junge war ein ausgezeichneter Schüler gewesen. Zwei Klassen hatte er übersprungen.
    »Was für Bücher?«
    »Egal. Ich lese alles und schreibe es in meinen Gedanken so um, wie ich es will. In meiner Version endet jedes Buch damit, dass alle tot sind.«
    Der stürmische Himmel, der bisher still gewesen war, fand nun seine Stimme. Billy blickte zur Decke und lächelte, als hätte der Donner direkt zu ihm gesprochen. Mit in den Nacken gelegtem Kopf schloss er die Augen und blieb auch so stehen, als das Grollen längst verstummt war.
    »Hast du die Morde geplant oder war es ein Impuls?«
    Der Junge wiegte den Kopf hin und her wie ein blinder, von seinen Tönen berauschter Musiker. »Ach, Johnny, ich habe schon seit langer, langer Zeit geplant, sie alle zu töten.«
    »Seit wann genau?«
    »Länger, als Sie es glauben würden, Johnny. Seit sehr langer Zeit.«
    »Wen hast du zuerst getötet?«
    »Wieso ist das so wichtig, wenn sie doch jetzt alle tot sind?«
    »Für mich ist es wichtig«, sagte John Calvino.
    Pulsierende Blitze erhellten die Fenster. An den Scheiben rannen dicke Regentropfen herab und hinterließen ein Geflecht aus Adern, die bei jedem Lichtschein zuckten.
    »Zuerst habe ich meine Mutter getötet. Sie saß in ihrem Rollstuhl in der Küche und wollte gerade eine Packung Milch aus dem Kühlschrank holen. Die hat sie fallen lassen, als das Messer in sie hineingeglitten ist.«
    Billy hörte auf, den Kopf zu wiegen, hatte ihn jedoch noch immer in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen. Sein Mund stand offen. Er hob die Hände an die Brust und ließ sie langsam an seinem Oberkörper hinabgleiten.
    Eine stille Ekstase schien ihn erfasst zu haben.
    Als seine Hände die Lenden erreicht hatten, verweilten sie einen Moment darauf, dann bewegten sie sich wieder nach oben, wobei sie den Saum des Sweatshirts mitnahmen.
    »Dad saß im Arbeitszimmer an seinem Schreibtisch. Ihm hab ich von hinten auf den Kopf gehämmert, zweimal, und dann hab ich den Hammer umgedreht. Die Klauen sind in den Schädel gefahren und haben sich so stark verhakt, dass ich sie nicht wieder herausziehen konnte.«
    Nun schob Billy das Sweatshirt über seinen Kopf. Dann streifte er es von den Armen und ließ es auf den Boden fallen.
    Seine Augen blieben geschlossen, der Kopf lag immer noch im Nacken. Träge erforschten die Hände den nackten Bauch, die Brust, die Schultern und die Arme. Offenbar war er völlig hingerissen von der Struktur seiner Haut und den Konturen seines Körpers.
    »Oma war oben in ihrem Zimmer und hat ferngesehen. Als ich ihr ins Gesicht schlug, ist ihr Gebiss rausgeflogen. Da hab ich lachen müssen. Ich hab gewartet, bis sie wieder bei Bewusstsein war, dann hab ich sie mit einem Schal erwürgt.«
    Er senkte den Kopf, öffnete die Augen und hielt sich die bleichen Hände vors Gesicht. Er betrachtete sie, als würde er in seinen Handlinien nicht die Zukunft, sondern die Vergangenheit lesen.
    »Dann bin ich wieder in die Küche gegangen. Ich war durstig. Ich hab ein Bier getrunken und das Messer aus meiner Mutter herausgezogen.«
    John Calvino setzte sich auf die Armlehne eines Sessels.
    Er wusste alles, was der Junge ihm erzählte, bis auf die Reihenfolge der Morde, die Billy bei seiner Vernehmung verschwiegen hatte. Der Gerichtsmediziner hatte aufgrund der Indizien bestimmte Vermutungen angestellt, doch John musste genau wissen, wie alles geschehen war.
    Ohne den Blick von seinen Händen zu nehmen, sagte Billy Lucas: »Meine Schwester Celine war in ihrem Zimmer und hat miese Musik gehört. Die hab ich flachgelegt, bevor ich sie getötet habe. Wissen Sie, dass ich sie flachgelegt hab?«
    »Ja.«
    Der Junge verschränkte die Arme und knetete liebevoll seine Bizepsmuskeln. Nun sah er John wieder in die Augen.
    »Dann hab ich exakt neun Mal zugestochen, obwohl sie wahrscheinlich schon nach dem vierten Stich erledigt war. Ich wollte einfach nicht so rasch aufhören.«
    Donner grollte, und Regenmassen stürzten aufs Dach. Leichte Schockwellen schienen sich über die Luft zu übertragen. John spürte, wie sie die winzigen Härchen in seinen Innenohren erzittern ließen, und fragte sich, ob sie womöglich gar nichts mit dem Gewitter zu tun hatten.
    In dem intensiven Blick des Jungen sah er Herausforderung und Spott. »Wieso hast du exakt neun Mal gesagt?«, fragte er.
    »Weil ich nicht achtmal zugestochen habe, Johnny, und

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