Die schwarze Feder
für die 472 Manuskriptseiten des Romans saß ich deutlich über 1600 Stunden an der Computertastatur, was etwa dreieinhalb Stunden pro Seite entspricht. Die 52 Seiten des Kurzromans schrieb ich in etwa 80 Stunden, ich brauchte also etwa eineinhalb Stunden pro Seite. Der Kurzroman fiel mir in gewisser Weise leichter, weil ich schon von Anfang an mein Ziel vor Augen hatte. Aber die kürzere Form hat auch ihre Tücken. So musste der Text in die Welt des Romans passen, ohne aber dessen Geheimnisse zu verraten. Glücklicherweise ging es mir schon immer so, dass mir die am schwierigsten zu schreibenden Texte auch am meisten Spaß bereiten. Erst die Herausforderung macht die Reise interessant.
Sie haben einmal geschrieben, dass Alton Turner Blackwood Sie mehr bewegt hat als jeder andere Bösewicht, den Sie je geschaffen haben. Wie kam es dazu?
Alton Turner Blackwood ist mir tatsächlich im Traum erschienen: Ich litt unter schweren allergischen Anfällen und musste einige Wochen lang ein halbes Dutzend Benedryl-Tabletten täglich nehmen. Und mit Benedryl fange ich immer zu träumen an, was ich normalerweise nicht tue. In diesen Träumen erscheinen mir Leute, die sehr lebendig wirken, aber nie etwas sagen. Sie starren mich einfach nur an. Vor Blackwood war keiner von ihnen monströs. Blackwood war der erste wirklich Deformierte, körperlich wie geistig. Und ich sah ihn in drei aufeinanderfolgenden Nächten. Er hatte natürlich keinen Namen. Er war nur eine merkwürdige Figur, die mich auch den Tag über in Gedanken verfolgte. Ich fragte mich, wie seine Vergangenheit wohl aussah, woher er kam, wieso er von so erschreckender Gestalt war. Ich begann, seinen ersten Tagebucheintrag zu schreiben. Ich hörte seine furchterregende Stimme, als diktierte er mir das Tagebuch, und plötzlich wusste ich, dass das der Mörder ganzer Familien sein musste. Und dass er sich auch durch seinen Tod nicht vom Morden abhalten lassen würde.
Blackwood ist so monströs, dass er zum Archetypus wird: Er stellt nicht einfach nur einen Bösewicht dar, sondern ist ein Symbol für alles menschliche Böse.
Sowohl der Roman wie auch der Kurzroman haben ein befriedigendes, rundes Ende. Dennoch lassen Sie durchblicken, dass das Böse zurückkommen könnte, wenn man es einlüde. Wird es möglicherweise einen weiteren Roman mit Alton Turner Blackwood geben?
Ich finde, über diese Figur ist alles gesagt. Der Rabenmann schildert Blackwoods Herkunft, sein physisches Schicksal und sein spirituelles Schicksal. Außerdem habe ich so viele Ideen für andere Romane, dass ich bis 200 leben müsste, um sie nur halbwegs umzusetzen. Ich bin ja wirklich Optimist, aber zwei Jahrhunderte kommen mir dann doch unwahrscheinlich vor. Vielleicht werden es nur eineinhalb.
Glauben Sie persönlich, dass wir das Böse in unser Leben einladen können?
Es ist Mode geworden, zumindest in den USA , so zu tun, als rühre alles Böse aus sozialer und wirtschaftlicher Ungerechtigkeit. Das Prinzip des moralischen Relativismus verlangt von uns, Handlungen nicht als schwarz oder weiß zu sehen, sondern als grau. Ich habe allerdings noch nie jemand getroffen, der im Alltag nach diesem Prinzip lebt – außer Berufsverbrechern! Trotzdem gilt diese Ansicht als aufgeklärt, egal, ob man nun nach dieser Philosophie lebt oder nicht.
Ich persönlich finde das zu simpel; das Problem des Bösen ist meiner Ansicht nach ungleich komplizierter – was für einen Romanautor natürlich tolle Nachrichten sind! Meistens ist das Böse rein menschlichen Ursprungs, Motive lassen sich erkennen, wenn auch nicht immer rational nachvollziehen. Doch manchmal handeln – offenkundig geistig gesunde – Menschen ohne erkennbares Motiv und so extrem grausam, dass ihre Taten meiner Ansicht nach eine komplett andere Qualität haben, eine übernatürliche Dimension. Egal, ob man die nun im traditionellen religiösen Sinn interpretiert oder in einem anderen. Ich stimme den Worten T.S. Eliots zu: »Die Welt dreht und verändert sich / doch eines ändert sich niemals / In all meinen Jahren änderte eines sich niemals: / Wie auch immer man es verkleidet, dieses Ding ändert sich nicht: / Der ewige Kampf zwischen Gut und Böse.«
Die Helden des Romans und des Kurzromans – die wichtigsten Gegenspieler von Alton Turner Blackwood – erlebten in ihrer Vergangenheit schreckliche Dinge, die sie fürs Leben zeichneten. Was hat Sie zu diesen Figuren inspiriert?
Mich faszinieren Charaktere, die Schreckliches durchlitten und
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