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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
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verliebt.«
    »Du hast doch keine Ahnung. Du bist ein Betrüger der schlimmsten Sorte – du betrügst dich selbst! Außerdem bist du sentimental und machst dir etwas vor mit deinen tröstlichen Lügen.«
    »Der Lügner bist du. Ein Lügner und Verräter. Du hast dich an einem Komplott beteiligt, um deinen engsten Freund zu betrügen und sein Glück zu zerstören. Und jetzt brüstest du dich auch noch damit.«
    »Betrügen!« sagte er höhnisch. »Du lechzt doch geradezu danach, betrogen zu werden, weil es dich in deinem Gefühl moralischer Überlegenheit bestärkt.«
    »Dann müßte ich ja jetzt glücklich sein, denn nur deshalb hast du mich doch eingeladen: um mich erneut zu betrügen. Du wolltest mich benutzen. Du wolltest meinen guten Namen mißbrauchen, um für dich und deine Komplizen ein Alibi zu konstruieren. Du hast mir nur deshalb von Burgoyne erzählt, damit ich gehen und die Inschrift lesen – die im übrigen nichts mit ihm zu tun hat! – und dabei diesem Mann auf der Rückseite des neuen Dekanats begegnen sollte.«
    »Sie meinen Mr. Stonex?« fragte Slattery mit erstauntem Gesicht.
    »Ich bin kein kompletter Narr, Mr. Slattery«, erwiderte ich. »Ich gebe ja zu, daß ich anfangs ziemlich begriffsstutzig war. Aber in vieler Hinsicht war ich auch einigermaßen scharfsinnig.«
    »Da gebe ich Ihnen zur Hälfte recht«, sagte er mit einem infamen Lächeln.
    Seine Worte trafen mich so, daß ich sagte: »Der Mann, dem ich am Mittwoch nachmittag begegnet bin, war nicht Mr. Stonex. Der war zu dieser Zeit nur wenige Meter von uns entfernt damit beschäftigt, sein Abendessen zu verzehren.«
    Slattery schlug sich gegen die Stirn. »Ach natürlich, es war sein Bruder!«
    Ich wandte mich verächtlich von ihm ab. Ich hatte eine falsche Hypothese auf diesem Versprecher aufgebaut, und es war mir peinlich, daran zu denken. Dennoch waren mir wenigstens die Unstimmigkeiten aufgefallen, die andere übersehen hatten, auch wenn mein Versuch, einen Schluß zu ziehen, fehlgeschlagen war.
    Fickling verzog den Mund zu einem schwachen, bösartigen, trunkenen Lächeln und sagte: »Sein Zwillingsbruder. Vergiß das nicht, Martin.«
    »Nicht sein Bruder. Das war ein Irrtum. Aber der angebliche Mr. Stonex sprach ja auch nicht von seinen eigenen Geschwistern. Er muß der Schwager des echten Mr. Stonex gewesen sein.«
    Ich hatte angenommen, daß diese Eröffnung die beiden erschüttern würde, aber obwohl sie sich einen nervösen Blick zuwarfen, schienen sie von meiner Bemerkung nicht sonderlich getroffen zu sein. Bedeutete das, daß ich noch immer nicht die ganze Wahrheit erraten hatte?
    »Was haben Sie jetzt vor?« fragte Slattery, ohne dabei mehr als einen Anflug von Neugier zu zeigen.
    »Ich weiß es noch nicht. Sie haben wohl alle eingewickelt. Obwohl ich vermute, daß der Sergeant die Wahrheit fast erraten hat. Ich nehme an, daß auch einige andere Bescheid wissen, aber aus guten Gründen nicht wollen, daß Ihre Rolle ans Tageslicht gebracht wird. Wissen Sie, ich verstehe jetzt, warum Sie von den Domherren geschützt wurden. Aber ich will Sie warnen, vielleicht sind Sie von jetzt an doch nicht mehr so sicher.«
    Zu meiner Freude sah ich, daß ich die beiden endlich aus der Ruhe gebracht hatte. Fickling fuhr auf, und auch Slattery war durch meine letzten Worte erkennbar erschüttert. Nachdem ich mein Ziel erreicht hatte, öffnete ich die Tür und verließ das Haus. Sie hatten es verdient. Ich hatte nicht die geringsten Gewissensbisse wegen dem, was ich vorhatte. Ficklings Worte hatten mich zutiefst getroffen. In diesem Augenblick glaubte ich, daß er die Wahrheit gesagt hatte: Sie hatte mich nicht geliebt. Sie hatte mich abstoßend gefunden.
    Ich eilte über den stillen, verlassenen Domplatz zum Dekanat, wo ich das Päckchen sorgfältig in den Briefkasten schob. Dann ging ich weiter in die High Street, um mir ein Zimmer im »Dolphin« zu mieten. Ich war so aufgewühlt und deprimiert, daß ich mich fast entschlossen hätte, Dr. Locard eine Entschuldigung zu schicken und die Einladung zum Abendessen abzusagen. Ich hatte einfach nicht mehr die Kraft, noch weitere Fragen über den Mordfall oder das Gefeilsche um das Schicksal des Manuskripts zu ertragen. Aber dann dachte ich, daß ich es doch bedauern würde, die letzte Gelegenheit zu verpassen, noch einmal mit Mrs. Locard zu sprechen, und ich beschloß, trotz allem hinzugehen.

Freitag abend
     
    Locards Haus – der Amtssitz des Bibliothekars – war ein großes, behagliches

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