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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
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nahm ich doch an, daß der Besitz der Platten es dem Dekan erleichtern würde, für Gerechtigkeit zu sorgen. Dann verschloß ich den Schrank und ging zum Treppenabsatz zurück. Ich hatte die Schlüssel gerade wieder in die Uhr gelegt, als ich hörte, wie die Haustür geöffnet wurde und jemand redete.
    Weil ich das Gas nicht aufgedreht hatte, merkten sie nicht, daß ich da war. Ohne nachzudenken blies ich die Kerze aus. Zu meiner Erleichterung hörte ich, daß sie in den vorderen Wohnraum gingen. Ich steckte das Päckchen in meine Tasche und schlich die dunkle Treppe hinunter.
    Als ich an der Tür vorbeiging und in das Zimmer spähte, sah ich sie. Ich war so entgeistert, daß ich mich nicht bewegen konnte. Natürlich hatte ich als Mann von Welt, der sein ganzes Erwachsenenleben an der Universität verbracht hatte, von solchen Dingen gehört. Dennoch brachte es mich, gelinde gesagt, aus der Fassung, mich so plötzlich mit ihrer Realität konfrontiert zu sehen. Und doch, was war Liebe? Wenn sie in sich gut war, spielte es dann eine Rolle, welche Form sie annahm? Konnte man sie jemals pervers oder unnatürlich nennen? In der Antike hatte man viele Formen der Liebe akzeptiert, und nur unser enger, bigotter, niedriger, christlich-jüdischer Geist verurteilte sie so scharf.
    Soviel war mir nun klar: Es gab keine unbekannte Geliebte, zu der Fickling am Mittwoch so spät in der Nacht noch gegangen war, und es waren Slatterys Hände gewesen, die ich durch das Fenster gesehen hatte. Doch wer war dann die Frau gewesen, deren Stimme ich gehört hatte?
    Ich muß mindestens zehn Sekunden lang reglos dagestanden sein, dann sah Slattery über Ficklings Schulter und entdeckte mich. Er lächelte und sagte: »Ich nehme an, daß Sie zutiefst schockiert sind, Dr. Courtine.«
    Fickling wirbelte herum und sah mich an, und in seinem Gesicht standen Angst und nackter Haß. »Was, zum Teufel, hast du hier zu suchen?«
    Ich sah auf meine Tasche hinunter. »Ich hatte gehofft, dir nicht noch einmal begegnen zu müssen.«
    »Das kannst du nicht mehr gehofft haben als ich.«
    »Sie meinen, ich sei schockiert?« sagte ich zu Slattery. »Worüber ich schockiert bin, ist das Komplott, das Sie beide in den letzten Tagen miteinander geschmiedet haben.« Ich wandte mich an Fickling. »Jetzt weiß ich, warum du mir vorgelogen hast, du hättest den armen alten Mr. Stonex am Mittwoch abend getroffen. Jetzt verstehe ich alles.«
    »Wenn das so ist …«, begann Fickling, aber Slattery hielt ihn mit einer bestürzend intimen Geste am Arm fest und fragte sanft: »Was verstehen Sie, Dr. Courtine?«
    »Sie wollen zusehen, wie ein unschuldiger junger Mann für einen Mord gehenkt wird, zu dem Sie Beihilfe geleistet haben. Sie beide.«
    Fickling sah zu Boden, aber auf Slatterys Gesicht machte sich ein Ausdruck verlogenen Staunens breit. »Ich war bei der Chorprobe und habe den ganzen Nachmittag lang Orgel gespielt, und Fickling war mit Ihnen zusammen. Wie in aller Welt sollte da einer von uns in den Mord verwickelt sein?«
    »Ich habe es Ihnen doch gesagt, Mr. Slattery«, erklärte ich bestimmt. »Ich weiß jetzt, welch ein durchtriebenes Spiel Sie gespielt haben. Derjenige, der uns mit Tee bewirtet hat, war nicht das Opfer.«
    »Wollen Sie versuchen, die Behörden von einer weiteren Ihrer bemerkenswerten Theorien zu überzeugen?« fragte er immer noch lächelnd.
    Ich antwortete nicht. »Ist das deine Rache?« fragte Fickling. »Wofür sollte ich mich rächen?« fragte ich zurück. Er sagte nichts. »Was hast du getan, wofür ich mich rächen müßte?«
    Er lächelte boshaft. »Du hast gesagt, du hättest mir vergeben.«
    Als er diese Worte aussprach, hatte ich ein so heftiges Bedürfnis, ihn zu packen, ihm den Kopf gegen die Wand zu schmettern und ihn zu würgen, daß ich schwankte und mich an einer Stuhllehne festhalten mußte. Als ich mich wieder in der Gewalt hatte, fragte ich so ruhig wie möglich: »Du hast ihm geholfen, sie zu verführen, nicht wahr?«
    »Sie zu verführen!« wiederholte er höhnisch. »Er hat sie nicht verführt. Welch ein absurder Gedanke. Sie hat ihn verführt. Aber es ist richtig, daß ich ihn ihr vorgestellt habe, weil ich dachte, er sei vielleicht der richtige Mann, um sie zu retten.«
    »Sie zu retten?«
    »Sie hat mir gesagt, daß sie dich nur geheiratet hat, um von ihrer Mutter wegzukommen. Sie fand dich unerträglich langweilig. Und körperlich abstoßend.«
    »Du lügst. Sie hat mich geliebt. Als wir heirateten, waren wir beide

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