Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
Vom Netzwerk:
in den Regalen noch auf dem kleinen Tischchen am Fenster entdecken. Vielleicht hatte er es ja im Schrank verstaut. Oder hatte er es wieder hinuntergetragen? Aber warum hätte er das tun sollen?
    »Ich werde es später aufmachen«, sagte Austin. »Die Vorfreude ist die halbe Freude an einem Geschenk.«
    Ich nickte, aber weil ich wußte, wie unpassend das Geschenk war, konnte ich seine Freude nicht teilen.
    Ich setzte mich und fand den richtigen Absatz im Buch. »Du hast mir eine Geschichte erzählt, die in Thurchester spielt, und ich erzähle dir jetzt auch eine. Wie du weißt, war die Stadt einst Alfreds Hauptstadt, und das Schloß war seine wichtigste Festung.«
    Austin wandte sich mir langsam zu, wobei die Pfeife ziemlich lächerlich aus seinem Mund herausragte.
    »Als Junge hatte Alfred eine Neigung zum Lernen gezeigt, die für diese Zeit höchst ungewöhnlich war. Bei einem jungen Prinzen, von dem erwartet wurde, daß er sich dem Erlernen der Kriegskunst widmete, war das um so bewundernswerter. Natürlich tat Alfred auch das, und zwar bemerkenswert gut. Aber er lernte eben auch Lesen, was für Mitglieder adeliger und königlicher Familien nicht üblich war, am wenigsten jedoch für einen Prinzen, dessen Vater schwer um seinen kleinen Landzipfel am Rande der europäischen Zivilisation zu kämpfen hatte, denn genau das war Wessex zu jener Zeit. Jahre später, als Erwachsener, lernte Alfred auch Latein. Vermutlich konnte er seiner Neigung, sich Wissen zu erwerben, nur deshalb in solchem Ausmaß nachgehen, weil er eine Reihe älterer Brüder hatte und es deshalb nicht wahrscheinlich war, daß er eines Tages König werden würde. Grimbald beschreibt nun, wie Alfreds Vater nach einem bestimmten jungen Mönch aus Sachsen schickte, welcher der Lehrer des Jungen werden sollte. Dieser Mönch war Wulflac, in diesen dunklen Zeiten einer der gebildetsten Männer in ganz Westeuropa. Mit den Jahren fielen jedoch alle älteren Brüder Alfreds im Kampf gegen die Dänen, so daß er doch König wurde, und zwar in relativ jugendlichem Alter – gerade rechtzeitig, um der größten Bedrohung entgegenzutreten, der sein Königreich jemals ausgesetzt war. Im Jahr 865 war nämlich eine gewaltige dänische Invasionsarmee gelandet, die ganz England unterwerfen wollte. Alfred verteidigte sein Königreich mit Intelligenz und Mut und hielt die Kleinmütigen unter den Engländern bei der Stange, die sich lieber unterwerfen und Tribut zahlen wollten, als sich zu verteidigen.
    Im Jahr 892 war Alfred bereits seit fast dreißig Jahren König und hatte einen langen Kampf gekämpft, um sein Königreich vor den Dänen zu sichern. Sein alter Freund und Lehrer Wulflac war inzwischen Bischof von Thurchester. Obwohl Alfred Wessex erfolgreich verteidigt hatte, hielten die Dänen einen großen Teil vom Norden und Osten Englands besetzt. Dann, im frühen Sommer, schickten die Dänen eine riesige Eroberungsarmee, die alles auf ihrem Weg plünderte und zerstörte. Die Nachricht davon erreichte Alfred, als er mit seinem Rat, dem Witan, hier in dieser Stadt weilte. Grimbald schreibt:
    Der König hielt einen Kriegsrat ab, und es wurde beschlossen, daß die Ealdormen in ihre Grafschaften zurückkehren sollten, um Truppen auszugeben, obwohl das eine Verzögerung von mehreren Wochen bedeutete. Daraufhin nahm Alfreds junger Kaplan den König heimlich beiseite und warnte ihn, daß sein Neffe Beorghtnoth, dem er vertraute, zusammen mit anderen Thengs gemeinsame Sache mit Olaf, dem Anführer der Dänen mache, um ihn zu töten und selbst König zu werden. Alfred vertraute seinem Kaplan zwar vollkommen, weigerte sich aber, etwas so Schreckliches von seinem Neffen anzunehmen. Genau in diesem Augenblick traf die Nachricht ein, daß die Dänen Exeter belagerten, und Alfred, begleitet von den meisten seiner Thengs, einschließlich Beorghtnoth, eilte dorthin und ließ Wulflac zum Schutze der Stadt zurück. Der König ritt seinen halbwilden Hengst Wederstepa oder »Sturmtreter«, den kein anderer reiten konnte und der von einem treuen Stallburschen gepflegt wurde. Und er nahm den königlichen Schatz mit sich, drei eisenbeschlagene Kisten mit Gold, Silber und Edelsteinen, die zu erbeuten die Dänen so begierig waren.
    Die nächsten Abschnitte werde ich nicht vorlesen, sondern nur erklären, daß der Kaplan leider recht hatte mit seinem Verdacht gegen den Neffen des Königs. Übrigens sind die Hinweise auf diesen jungen Priester sehr interessant, und ich habe auch meine eigene

Weitere Kostenlose Bücher