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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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einen Autounfall gehabt hatte. Es war spät in der Nacht passiert. In dem Auto, mit dem er zusammenstieß, saß eine junge Frau, die sofort tot war.
    Das schnappte ich auf, als meine Mutter telefonierte und nicht genug aufpasste. Bevor sie kam, hatte meine Großmutter im Wohnzimmer gesessen und Psalmen gebetet. Man verstand kein Wort von dem, was sie sagte. Ich bin nicht mal sicher, ob Gott sie verstand. Als meine Mutter ankam, hörte meine Großmutter auf zu beten und ich hörte, wie meine Mutter ihr sagte, dass die Fahrerin des anderen Autos im siebten Monat schwanger gewesen sei und dass sie das Baby nicht hatten retten können. Dann rief sie ihre Schwester Tikwa an und weinte am Telefon. Ja, sie weinte ganz unbeherrscht. Wie ein Kind weint. Das war das einzige Mal, dass ich meine Mutter weinen hörte. Obwohl ich mir die Decke über den Kopf zog und mir die Ohren zuhielt, hörte ich sie immer noch. Als sie danach in mein Zimmer kam, um nach mir zu sehen, stellte ich mich schlafend. Ich stand erst auf, als es schon hell war, und ging zur Schule.
    Danach wurde ich zu einer Art Detektiv in der eigenen Familie und sammelte langsam Einzelheiten über den Unfall, ohne dass die andern mir etwas erzählten.
    Ich wusste, dass mein Vater nicht schuld an dem Unfall sein konnte, er war ein großartiger Autofahrer und sehr vorsichtig. Immer hatte er sich über die Verrückten aufgeregt, denen man Gelegenheit gab, sich auf den Straßen auszutoben. Seit dem Unfall war er fast nicht mehr Auto gefahren, auch nachdem man ihm den Führerschein zurückgegeben hatte. Er saß nur zu Hause herum und rauchte, füllte ganze Aschenbecher mit seinen Kippen. Ich wusste, dass er versucht hatte auszuweichen, um den Zusammenstoß zu verhindern, aber es war zu spät. Die Frau, die ihm entgegenkam, verlor die Kontrolle über ihr Auto. Sie fuhr ohne Licht auf der Straße, die vom oberen Galiläa herunterführt. Seither war unser Leben nicht mehr so wie früher, alles war ohne Licht.
    Unser Familienleben teilte sich, wie man es in der Schule lernt, in zwei Epochen – vor dem Unfall und nach dem Unfall.
    Als der Unfall passierte, lebte meine Schwester schon nicht mehr bei uns. Mein Bruder Sohar ging in die elfte Klasse und machte schreckliche Schwierigkeiten. Bis zum Unfall hatte mein Vater immer wieder auf ihn eingeredet, war zu seinen Lehrern gegangen, wenn es nötig war, und hatte ihm geholfen, aber nach dem Unfall hörte er überhaupt auf, mit uns zu reden. Und Sohar wurde auf einmal ein guter Schüler, ohne dass sich jemand um ihn kümmerte. Er machte Hausaufgaben und lernte für alle Fächer. Mein Vater war mit den Rechtsanwälten beschäftigt, mit der Rentenversicherung, und wollte nur allen beweisen, dass er keine Schuld hatte. Nicht dass er darüber sprach, aber man sah es ihm an. Nach langer Zeit, als man ihn schließlich freisprach, kam er schon nicht mehr aus seinem Loch heraus. Es ist ja nicht nur die Frau, die umgekommen ist, sondern auch ihr Baby, das ihn bedrückt, sagte meine Mutter am Telefon zu meiner Schwester, er hört nicht auf, daran zu denken. An die Frau, an das tote Baby und dessen Schwester, die zu Hause geblieben und jetzt Waise geworden war.

    Hirsch fragte, wie ich Zeit haben würde für die Nachforschungen und für die Observation und ob man bei mir zu Hause von der Sache wisse.
    Ich sagte, in zwei Tagen würden die Pessachferien anfangen und bis zum Basketball-Trainingslager könnte ich jeden Tag Benjis Haus beobachten. Nur wüsste ich nicht, was ich mit dem Hund machen sollte.
    »Mit Hund? Mit Rottweiler?«
    »Ja«, sagte Joli. »Er ist riesig, Opa. Riesig, schwarz und böse.«
    »Hund kein Problem«, sagte Hirsch und schwieg. Er dachte lange nach. Ich hatte das Gefühl, man dürfe ihn nicht stören.
    Plötzlich stand er auf. Er war fertig mit Nachdenken. »Nun, gehen wir«, sagte er und ich war sicher, dass er uns mit seinem schwarzen Käfer zu Benjis Haus bringen würde.
    »Man braucht kein Auto«, sagte Hirsch. »Ist hier, ganz nah.«
    »Was ist nah«, fragte Joli. »Es ist in einem ganz anderen Viertel. Ein-Kerem ist weit weg von hier.«
    »Gehen zu Esther«, erklärte Hirsch, als wir die Straße entlanggingen. »Ist nicht weit.«
    »Welche Esther«, fragte Joli.
    »Esther, mit Kiosk.«
    Joli blieb stehen und riss demonstrativ den Mund auf, als hätte sie einen Schock bekommen und wolle das zeigen.
    Hirsch betrachtete sie und lächelte. »Esther und ich gute Freunde«, sagte er und lief weiter, als wäre nichts

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