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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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eine eigene Strategie hatte, die mir nur nicht klar war.
    »Auch Geld«, fragte Hirsch.
    »Nein, kein Geld. Das Geld verstecke ich sehr gut. Sie haben aber nicht nur gestohlen, sondern auch zerstört, einfach so. Zum Beispiel die Säfte ausgeschüttet.«
    Sie schwieg, dann fuhr sie fort: »Aber in ein Café wie in Rechawja, da bricht man nicht so leicht ein.« Ihr Gesicht hatte einen Ausdruck, als träume sie von etwas, was sie nie im Leben haben würde.
    »Klar«, sagte Hirsch. »Bei Dunkelheit es wird geben Licht, Leute, hohe Stühle, wie in Bar.«
    »Sicher«, sagte Esther. Sie schüttete den Kaffeerest aus Hirschs Tasse in einen großen Blecheimer. Ihr gesundes Auge schloss sich, sie glaubte sichtlich kein Wort von dem, was er sagte.
    »Es wird große Lampe oben geben«, sagte Hirsch.
    »Eine Laterne«, korrigierte ihn Joli.
    »Stimmt, Laterne. Dazu hohe Stühle. Und hier«, er deutete auf die Wand neben dem Kioskfenster, »hier großes Bild kommt her. Fröhliches, mit viel Farben.«
    Esther zeigte auf mich. »Und er wird es malen?« Sie lachte nicht.
    »Na klar«, sagte Hirsch. »Schabi ist sehr guter Maler. Professional.« (»Professionell«, flüsterte mir Joli zu.)
    Ich erschrak. Wie sollte ich ein Wandbild malen? Noch dazu ohne Farben? Und wann hätte ich überhaupt Zeit für so was? Und warum sagte keiner ein Wort über Benji?
    »Schade, dass seine Farbstifte sind gestohlen«, sagte Hirsch leichthin.
    Esther stützte den Ellenbogen auf die Theke und legte ihr spitzes Kinn auf die Handfläche.
    »Man weiß nicht, wer«, fügte Hirsch hinzu.
    Esther seufzte. »Man weiß es nicht. Aber wie man so sagt: Wenn jemand den Verstand verloren hat, hilft ihm schon gar nichts mehr.«
    Hirsch wiederholte die Worte »den Verstand verloren«. Joli tippte sich an den Kopf, um ihm zu zeigen, was das hieß.
    Nun war ich es, der Hirsch am Ärmel zog. »Wer war es«, fragte Hirsch.
    Esther schwieg und spülte die Tasse.
    »Sie nicht will sagen«, erklärte mir Hirsch, als wäre Esther gar nicht da.
    Und dann fragte er: »Hast du Benji gesehen?«
    »Er war nicht in der Schule«, antwortete Esther. »Er fehlt schon seit drei Tagen.«
    Hirsch nickte. »Ja. Niemand weiß, warum.«
    »Er ist ein armer kleiner Kerl«, sagte Esther. »Er hat Angst.«
    »Vor was er hat Angst«, fragte Hirsch.
    Esther zuckte mit den Schultern und starrte in die Ferne. Wie jemand, der die Lösung eines Problems in den Wolken sucht. Schließlich sagte sie: »Ich weiß es nicht. Vielleicht hat er auch so etwas bekommen.« Sie zog aus der Schublade unter der Theke einen zusammengerollten Zettel hervor und reichte ihn Hirsch.
    Er glättete den Zettel auf der Theke und betrachtete ihn. Auch Joli und ich starrten ihn an. Mit großen Druckbuchstaben stand darauf: »Egal, was du machst. In zwei Tagen wirst du sterben. Unterschrift: Der Mörder.« Darunter waren drei rote Tropfen gemalt.
    »Was ist das«, fragte Hirsch.
    »Das ist vom Mörderspiel«, sagte Joli und hielt das Blatt gegen das Licht, als würde sich hinter den Buchstaben etwas verbergen. Dann reichte sie es mir.
    Dieser Zettel, trotz aller Flecken, die er im Kiosk abgekriegt hatte, sah genauso aus wie der, den Benji bekommen hatte. Die gleichen Buchstaben, die gleichen Blutstropfen, das gleiche Rot mit den goldenen Streifen darin. Meine Hand fing an zu zittern.
    »Was ist, Schabi«, fragte Joli, die immer alles sieht, auch wenn man es nicht will.
    »So war Benjis Zettel. Genau gleich.«
    Hirsch nahm den Zettel und betrachtete ihn eine Weile.
    »Was gleich«, fragte er.
    »Alles«, sagte ich. »Die Tropfen. Die aufgeklebten Buchstaben. Das Rot.«
    »Das Rot?«
    Ich erklärte es ihm.
    »Gut«, sagte Hirsch. »Heißt, wer Schatulle mit Farbstiften gestohlen, hat auch mit Benji zu tun, ja?«
    »Ja«, sagte Esther. »Genau so.« Sie schaute Joli an. »Dein Großvater ist ein kluger Mann.«
    Ich fand, dass für diese Erkenntnis keine große Schlauheit nötig war, sie lag doch auf der Hand.
    Hirsch steckte den Zettel ein. »Wir nehmen ihn mit«, erklärte er. »Zu Hause wir untersuchen ihn mit Geräten.«
    »Auf Fingerabdrücke«, fragte Joli.
    Hirsch nickte. »Ja, auf Fingerabdrücke.«

9. Kapitel

    Während dieser ganzen Zeit ging in der Schule das Mörderspiel richtig los. Wegen Benjis Zettel hatte ich es ganz vergessen, außerdem dachte ich, wir wären schon zu groß für solchen Blödsinn. In der vierten und fünften Klasse fanden wir das noch sehr aufregend, aber das war nun wirklich lange her.

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