Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
Vom Netzwerk:
los. Für einen alten Mann ging er sehr schnell. Joli zog ihn am Ärmel seines blauen Jacketts: »Was heißt das, ihr seid gute Freunde? Und ich weiß von nichts? Wann hat das angefangen? Wie lange? Und überhaupt …«
    »Ist immer etwas, wovon man nichts weiß.« Hirsch verzog die Lippen zu einem kleinen Lächeln, wie eine Katze, die eine fette Maus im Maul trägt.
    »Aber Esther ist … der Kiosk gehört zur Schule«, sagte Joli. »Du kannst nicht irgendwas mit der Schule anfangen, ohne dass ich es weiß.«
    »I promised not to talk about it.«
    »Er hat versprochen, nicht drüber zu reden«, sagte Joli zu mir und Hirsch legte ihr den Arm um die Schulter, wie um sie zu versöhnen, und sagte etwas auf Jiddisch.
    Joli nahm seine Hand von ihrer Schulter. »Auch wenn es nichts mit uns zu tun hat, es ist unser Revier. Du hättest es mir sagen müssen.«
    Hirsch gab keine Antwort. Mit schnellen Schritten ging er weiter, Joli blieb an seiner Seite. Ich ging hinterher und versuchte zu überlegen, was das hieß, dass er ein »guter Freund« von Esther war. Und überhaupt, wie unterhielt er sich mit ihr? Auf Jiddisch?

    Er sprach Hebräisch mit ihr. Und noch nie hatte ich Esther so fröhlich gesehen wie in dem Moment, als Hirsch vor ihrem Kiosk stand. Der Polizist an der Ecke war verschwunden, es gab keinerlei Anzeichen mehr von einem Einbruch. Mich und Joli beachtete Esther überhaupt nicht, wir waren Luft für sie. Sie fing sofort an, da und dort Sachen zu ordnen, und fuchtelte mit den Händen. »Warum hast du mir nicht gesagt, dass du kommst«, fragte sie. »Ich hätte etwas vorbereitet. Schau, es gibt gleich Kaffee, Wasser habe ich schon aufgesetzt.«
    Sie bereitete ihm Kaffee in einer kleinen Tasse und er trank ihn schlürfend in einem Zug aus. »Das ist richtiger Kaffee«, sagte er. »Besser als alles in ganzer Altstadt.« Uns gab sie eine Flasche Cola und zwei Strohhalme, aber sie schaute uns nicht an dabei, sie sah nur Hirsch. Und die ganze Zeit fragte sie, wie es ihm gehe. Noch nie hatte ich Esther so gesehen. Sogar ihre Hornhautschwellung sah jetzt vergnügt aus, als würde sie hin und her hüpfen.
    Wir standen eine Weile da, bis Hirsch sagte: »Noch mal gestohlen, ja? Man braucht Stühle hier draußen, und Lampe.«
    »Fang nicht schon wieder damit an«, sagte Esther. »Das wird nichts nützen.«
    »Warum nicht? Zwei, drei Stühle, Kaffee, Burkas. Hier, Schabi, malt sehr schön, malt Bild auf die Wand und schon ist es Café.«
    »Wie in Rechawja«, sagte Esther träumerisch. »Aber da sind die Diebe.«
    »Was haben sie mitgenommen«, fragte Hirsch. »Wie beim letzten Mal?«
    »Nur die Zigaretten, Gott sei Dank«, sagte Esther.
    Jolis Augen huschten zwischen Hirsch und Esther hin und her, als würde sie einen Film anschauen, und ich wartete darauf, dass Hirsch sich nach Benji erkundigen würde.
    Aber er sagte nur: »Also es ist nicht dieser Junge, dieser Ja’ir Malul?«
    »Nein«, sagte Esther und blinzelte mit dem gesunden Auge, als würde sie sich schämen. »Wie du gesagt hast, Hirsch, er war es nicht. Die Polizei sagt jetzt, dass es der andere ist, der Hinkende.«
    »Der Humpier?«
    »Der Humpier ist Limping«, sagte Joli.
    »Der Junkie«, fragte Hirsch.
    Joli schaute ihn erstaunt an und er machte eine Bewegung, als würde er sich eine Spritze in den Arm geben.
    »Der Drogenabhängige«, sagte Esther, »der mit dem Bein und dem krummen Mund. Aber ich glaube es nicht.«
    Hirsch schaute sie an und wartete. Wieder hatte ich das ungute Gefühl, dass er nicht ganz richtig tickte und dass er überhaupt vergessen hatte, warum wir hergekommen waren.
    »Ich glaube«, sagte Esther und warf mir und Joli einen vorsichtigen Blick zu, »es waren Schüler.«
    »Schüler?«, sagte Hirsch. »Aber nicht Malul.«
    »Na ja«, sagte Esther. »Er wird verhört. Vielleicht wissen wir morgen mehr. Aber es waren Schüler, das ist sicher.«
    »Wieso Schüler?«
    »Ehrenwerte Schüler.« Esther lachte ihr böses Lachen. »Diebe gibt es überall, sogar in den besten Familien. Schau ihn an«, sie deutete auf mich, »hat man ihm nicht seine Farbstifte gestohlen? Hier wird gestohlen, jeden Tag wird hier gestohlen.«
    Obwohl ich wusste, dass Esther Recht hatte, erschrak ich. Wenn sie über meine schwarze Schatulle informiert war, vielleicht wusste sie dann auch, wer sie geklaut hatte? Ich wollte sie fragen, aber Hirsch legte seine Hand auf meine, um mich zurückzuhalten. Ich verstand plötzlich, dass er überhaupt nicht verwirrt war, sondern

Weitere Kostenlose Bücher