Die Schwarze Schwesternschaft
verpuffte. Ein unangenehmes Kind, dachte sie, das zu einer noch unangenehmeren Frau herangewachsen ist… Dann fiel ihr ein, was Callista ihr über derartige Reaktionen gesagt hatte, als sie sie in der Kunst der Matrix-Arbeit ausbildete:
Sie missbrauchen uns, weil sie sich vor uns fürchten. Benehmen sich die Leute grob und beleidigend, wenn du ihnen zu helfen versuchst, geschieht das aus Furcht. Denn sie fürchten sich vor dem, was du sie einsehen oder begreifen machen willst. Ganz gleich, wie tief ihre Gründe verborgen sind, etwas in ihnen weiß und versteht und fürchtet sich, den Schutz des Schocks zu verlassen.
(Stunden später, im Gildenhaus vor dem Feuer, wiederholte Magda diese Worte. Sie war so tief in ihre eigenen Gedanken versunken, dass sie nicht sah, wie sich Camillas Gesichtsmuskeln spannten und wie sie bestätigend nickte. An viele Einzelheiten ihrer Qualen konnte oder wollte auch Camilla sich nicht erinnern.)
Magda ignorierte Lexies Frechheit. Sie nahm den Matrix-Stein vom Hals, entfernte sorgfältig die schützende Seide und ließ das blaue Juwel, aus dessen Tiefen verborgenes Feuer blitzte, in die Handfläche gleiten. Lexies Augen folgten den sich bewegenden Farben.
»Schön«, sagte sie in ihrer Babysprache. »Darf ich es sehen?«
»In einer Minute vielleicht. Nur darfst du den Stein nicht berühren, sonst könntest du dir weh tun.«
Es war möglich, dass eine Person, die nicht in Phase war, vor allem ein Nichttelepath, durch die Berührung einer eingestimmten Matrix einen schweren, schmerzhaften Schock erlitt, und, schlimmer noch, der Schock für den Besitzer der Matrix, der darauf eingestimmt war, konnte tödlich sein. Magda zog den Psi-sensitiven Kristall vor Lexies grabschenden Fingern weg. »Blick in den Stein, Lexie.«
Lexie wandte das Gesicht ab. »Davon tut mir der Kopf weh.«
Das war normal. Die wenigsten unausgebildeten Personen ertrugen es, in eine eingestimmte Matrix zu blicken, und Lexies Psi-Potenzial war offensichtlich sehr gering. Magda sagte sich, sie hätte darum bitten sollen, Einblick in die Personalakte von Leutnant Alexis Anders zu erhalten, um den genauen Grad ihrer Psi-Fähigkeiten festzustellen. Heutzutage testete man Terraner auf solche Dinge. Es wäre ihr nützlich gewesen.
Nun, sie hatte es versäumt, und jetzt hatte sie keine Möglichkeit mehr dazu. Sie hielt Lexie die Matrix vor die Augen. »Ich möchte, dass du in den Stein siehst, damit wir herausfinden, was mit dir los ist und warum du hier im Krankenhaus liegst.« Sie sprach mit freundlicher, aber fester Stimme. Lexie zog eine Schnute wie ein Kind. Magdas entschlossene Haltung veranlasste sie schließlich doch, die Augen auf die fließenden Farben des Steins zu richten.
Magda wartete, bis Lexies Gesicht sich entspannte. Sie war sich nicht sicher, wie ein normaler Psi-Techniker vorgehen würde, aber sie war beinahe sieben Jahre lang intensiv im Gebrauch einer Matrix ausgebildet worden. Die Worte des Überwachereides, der jedem Telepathen abverlangt wurde, nachdem man ihm eine Matrix anvertraut hatte, hallten in ihrem Gehirn wider: Dringe in keinen Geist ein, außer zu helfen oder zu heilen, und niemals, um Macht über ein Wesen zu erlangen.
Dann nahm sie Kontakt mit Lexie Anders’ Geist auf.
An der Oberfläche war es ein einziges Durcheinander, ein verwirrtes Kind, das nicht wusste, was geschehen war. Auf einer tieferen Ebene zitterte und bebte etwas und wollte es gar nicht wissen. Behutsam berührte Magda den Kindergeist (eine Hand schob sich vertrauensvoll in ihre, wie ein kleines Mädchen die Hand einer älteren Schwester fasst; sie erhielt die Wärme einen Augenblick aufrecht, weil sie wollte, dass Lexie ihr vertraute).
Wer bist du? Es ist zum Fürchten. Ich kann mich nicht erinnern.
Ich bin deine Freundin, Lexie. Ich werde nicht zulassen, dass dir irgendjemand weh tut. Du bist jetzt ein großes Mädchen. Du wolltest ein Flugzeug fliegen, weißt du noch? Komm, suchen wir das Flugzeug. Das erste Mal, dass deine Hände die Kontrollen berührten. Sieh dir das Flugzeug an. Die Kontrollen sind unter deinen Händen. Wer bist du, Lexie?
Die junge Frau bog, sich erinnernd, die Hände wie über den Kontrollen, die sie beherrscht hatte…
Abrupt änderte sich die kindliche, klagende Stimme, die den Dialekt von Vainwal lispelte. Sie wurde scharf, akkurat, sprach Terra-Standard mit der Präzision eines Menschen, der es als Zweitsprache
Weitere Kostenlose Bücher