Die schwarzen Juwelen 05 - Finsternis
vorstellen, wie die Dorfkinder nach ihr riefen, um ihr den neuen Welpen, das neue Katzenjunge oder das neue kleine Kunststück zu zeigen, das sie gelernt hatten. Er meinte, die liebevolle Art zu vernehmen, mit der die Männer und älteren Frauen von ihr sprachen. Hast du schon gehört, was Lady Lia nun wieder angestellt hat?
Und bei Hofe, schon jetzt, aber auch später, sobald sie ihren eigenen gegründet hatte … Lady Ardelia. Die starke junge Königin, die zu viel Mut besaß.
Womit er wieder am Anfang seiner Gedanken angelangt war.
»Warum?«, fragte er leise.
Eine Zeit lang trank Lia nur von ihrem Gebräu und antwortete nicht. Dann stieß sie ein Seufzen aus. »Es ist das letzte Mal, weißt du? Nach dem Sklavenmarkt im Frühjahr ist die Graue Lady angegriffen worden, und man hat ihre Begleiter
umgebracht. Dorothea SaDiablo steckte hinter dem Angriff. Die Graue Lady bestand darauf, dass sie noch ein einziges Mal nach Raej reisen müsse, damit unsere Feinde wüssten, dass die Kraft einer Königin mit grauem Juwel Dena Nehele immer noch schützen kann. Die Männer im Ersten Kreis sind der Ansicht gewesen, dass das Risiko den möglichen Gewinn bei weitem übersteigt. Sie haben höflich darum gebeten, dass sie innerhalb der Grenzen von Dena Nehele bleiben möge – und dann haben sie jeden Fetzen des Gesetzes und des Protokolls des Blutes über die Rechte und Privilegien der Männer im Ersten Kreis hervorgekramt, den sie finden konnten. Als sie damit fertig waren, war ihr klar, dass die Bitte der Männer in Wirklichkeit so etwas wie ein Befehl war – was diese natürlich aufs Heftigste bestritten haben.«
»Natürlich«, sagte Jared höflich.
Sie betrachtete ihn argwöhnisch.
»Das erklärt aber noch nicht, warum du hier bist«, gab Jared zu bedenken.
Sie spielte an ihrer Tasse herum. »Sie konnte nicht wieder nach Raej reisen. Selbst wenn der Erste Kreis keine Möglichkeit gefunden hätte, sie aufzuhalten, hätte sie nicht reisen können. Wir hätten sie beim letzten Mal beinahe verloren, und wenn wir sie verlieren, bevor …« Lia nahm rasch einen weiteren Schluck von ihrem Trank.
»Bevor?« Jareds grüne Augen verengten sich, als er sie beobachtete.
»Bevor die neue Königin, die an ihre Stelle treten soll, ihre Ausbildung ganz abgeschlossen hat.«
Das bedeutete also, dass die Mehrheit der Kriegerprinzen und anderen Königinnen in Dena Nehele bereits der Nachfolgerin zugestimmt hatten, welche die Graue Lady erwählt hatte.
»Warum haben sie dich geschickt? Warum nicht eine Königin mit mehr Erfahrung?«
Sie zerrte an der zerschlissenen Kante der Decke, auf der sie saß. »Nun, ich sehe Oma ziemlich ähnlich, und ich bin die einzige andere Königin in der Familie.«
Einen Augenblick lang war Jared sprachlos. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. »Oma?« Seine Stimme überschlug sich. »Die Graue Lady ist deine Großmutter? Wie ist das möglich?«
Lia blinzelte. »Ganz einfach: Ihre Tochter hat eine Tochter zur Welt gebracht.«
Jared leerte seine Tasse. Na gut. Ein Illusionszauber, der von einer begabten Schwarzen Witwe gewoben worden war, hatte sämtliche Betrachter hinters Licht geführt und außerdem irgendwie verdeckt, dass Lia ein grünes Juwel trug, damit Fremde nicht darauf kamen, dass es sich nicht um die Graue Lady handelte. Doch nichts konnte einen Mann glauben machen, dass irgendeine andere Art von Hexe eine Königin war – besonders, wenn er seine ganze Aufmerksamkeit auf sie richtete.
Von daher ergab es Sinn, dass sie eine Königin gebraucht hatten, um eine Königin darzustellen. Und vielleicht machte die Verwandtschaft es leichter, den Illusionszauber zu erschaffen, vor allem wenn Lia ihrer Großmutter ähnlich sah. Vielleicht hatte sich keine andere Königin bereit erklärt, das Risiko einzugehen. Oder vielleicht hatte die Graue Lady es nicht über sich gebracht, eine Frau außerhalb der Familie zu bitten. Oder …
Jareds Schulterblätter zuckten. Er hoffte immer noch, dass es eine andere Antwort gab, denn wenn nicht, würde er wieder von Neuem in Zorn ausbrechen – und er konnte sich nicht den Luxus gönnen, ihr ins Gesicht zu sagen, was er von den Männern in ihrem Territorium hielt.
»Also«, meinte er freundlich, obwohl die Wut sein Blut zum Kochen brachte, »da du die einzige Königin in der Familie bist und die Nachfolgerin der Grauen Lady, hast du beschlossen, die Sache selbst zu erledigen.«
Sie betrachtete ihn argwöhnisch. »Ja.« Als er wieder zu fluchen anfing
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