Die schwarzen Juwelen 06 - Nacht
Narr. Die Eigenart von Tersas Zaubern war für jeden leicht erkennbar, der genug Zeit mit ihr verbracht hatte, um die Frau kennen zu lernen. Falls sie sich nicht in ihrem Haus in Halaway in Sicherheit befand, falls sie in dem Haus gefangen war, hätte Daemon es ihm gesagt. Und wenn …
Zorn überkam ihn bei dem Gedanken, jemand habe es gewagt, Tersa etwas anzutun.
Er packte den Kleiderständer und schwang ihn durch die Luft.
Der Spiegel zerbarst und ließ Glassplitter auf diesen Teil des Korridors hinabregnen. Ein Fuß des Kleiderständers grub sich in die Wand.
Lucivar zog den Kleiderständer aus der Wand, stellte ihn ab und sagte: »Wieso Kunst verwenden, wenn ein bisschen Wut es genauso tut?«
Es war zwar unwahrscheinlich, dass er so nahe am Eingang auf Surreal oder Rainier stieße, aber er würde sich dennoch das Hinterzimmer und die Küche ansehen, bevor er weiterging.
Ein Schritt. Zwei.
Er bemerkte eine leichte mentale Signatur, verstärkt durch einen Hauch von Angst. Es war wieder verschwunden, noch bevor er die Richtung ausmachen konnte, aus der es kam, aber es hatte ausgereicht um ihn zu warnen, dass sich ein Angehöriger des Blutes in der Nähe befand.
Keine Schwarze Witwe. Dies war jemand anders, jemand, den er kaum als Angehörigen des Blutes wahrnahm, da jene Person im Abgrund so weit unter ihm stand. Jemand, den er überhaupt nicht ausgemacht hatte, bevor er ein Loch in die Wand geschlagen hatte.
Er starrte die Wand an und dachte über das Spiel nach. Dann entblößte er die Zähne in einem wilden Lächeln und ging zur Eingangstür zurück.
»Ich werde mich wohl doch nach deinen Spielregeln richten«, sagte er leise, als er mit der rechten Hand gegen die Tür drückte. Das schwarzgraue Juwel in seinem Ring glühte einen Augenblick auf, als er das gesamte Gebäude mit einem schwarzgrauen Schild umgab.
Irgendwo im Haus ertönte ein Gong.
Er spürte, wie sich ein Zauber in die schwarzgraue Macht fraß, doch er nährte den Schild noch ein paar Herzschläge länger – und flößte ihm so viel Energie ein, dass er gewiss nicht vor Sonnenuntergang geleert werden würde. Wenn er bereit war, das Haus zu verlassen, würde er sich nun durch Zauber kämpfen müssen, die von seiner eigenen schwarzgrauen Kraft verstärkt waren, und die Rückkoppelung würde ganz gewiss verdammt wehtun. Sei’s drum. Dennoch würde er das Haus verlassen. Was die kleine Autoren-Ratte betraf, die sich seiner Meinung nach im Gemäuer verbarg …
Lucivar hob sein Proviantpaket auf und ging auf das hintere Zimmer zu. Als er an dem Loch in der Wand vorüberging, sagte er auf Eyrisch: »Du gehst hier nicht raus, bevor ich dich rauslasse. Schau also weiter zu – und bereite dich aufs Sterben vor.«
Auf einmal erschien eine Illusion vor ihm. Dem zerfetzten Oberkörper und dem fehlenden Auge nach zu schließen, war der Junge eines schlimmen Todes gestorben. Doch es handelte sich bloß um eine Illusion und kein kindelîn tôt , stellte also keinerlei Gefahr dar.
»Das Schlimmste kommt erst noch«, sagte der Junge. »Nein«, erwiderte Lucivar und ging direkt durch den Illusionszauber hindurch. »Ich bin schon da.«
Er verschloss die Tür, lehnte sich dann mit dem Rücken gegen die Wand – und zitterte.
Wieso Kunst verwenden, wenn ein bisschen Wut es genauso tut?
Lucivar hatte die Schwarze Witwe in zwei Teile geschnitten. Der Kampf war vorüber, bevor er überhaupt richtig angefangen hatte, weil er die Hexe entzweigeschnitten hatte!
Ohne Kunst.
Lucivar hatte einen schweren Kleiderständer durch die Luft geschwungen, als handele es sich lediglich um einen Stock, und hatte ein Loch in eine mithilfe von Kunst geschützte Wand geschlagen.
Ohne Kunst.
Das Loch hatte jenen Teil des Geheimganges bloßgelegt und ihn anfällig für die Zauber gemacht, die den Rest des Hauses fesselten. Dies bewies, wie Recht er gehabt hatte, Türen anzubringen, um diese Gänge in Einzelabschnitte zu unterteilen, die jeweils über eigene Schutzzauber verfügten. Die Hexe, die diese besonderen Zauber erschaffen hatte, war eine sanftmütige Frau gewesen, bis er sie gefoltert und auf eine Weise umgebracht hatte, die sie zu einem bösartigen Raubtier werden ließ.
Es gab selbstverständlich kein Gesetz gegen Mord, also hatte er kein Unrecht begangen. Und die Informationen, die er im Laufe dieser Tat gesammelt hatte, würden seine nächsten Romane überaus erfolgreich machen, sodass er all seine Rivalen überflügeln würde. Vielleicht wäre er
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