Die schwarzen Raender der Glut
Waldes draußen, an dem vorbei das Sträßchen nach Wieshülen verläuft.
»Sicher«, antwortet Tamar. »Es gibt den Weg, den Zundt genommen hat. Vom Garten an der Rückseite des Hauses kommen Sie direkt darauf. Es ist der Franzosensteig, er heißt so, weil ihn französische Pioniere angelegt haben, irgendwann zu Napoleons Zeiten, ich wusste gar nicht, dass der mal bei Ulm eine Schlacht gewonnen hat, der Prophet hat es mir erklärt. Der Steig führt runter ins Tal . . . Dort gibt es eine Bushaltestelle.«
»Einen Bus? Eher nicht. Vielleicht kann Seifert jemand aus seinem Dorf anrufen . . . Der Vorschlag mit diesem Weg ins Tal klingt jedenfalls gut. Halten Sie mal dieses Ding.«
»Sind Sie verrückt? Ich nehm so was nicht mehr in die Hand. Wissen Sie nicht . . .«
»Sie sollen es halten. Nichts weiter.«
Zaghaft klopft es an der Tür. »Vorsicht«, ruft Berndorf, »herein nur auf allen vieren!«
Die Tür öffnet sich, geduckt steht Florian Grassl im Rahmen. Er ist unrasiert, seine Augen sind blutunterlaufen, das Gesicht ist eingefallen. »Ich wollte fragen, ob Sie eine Waffe für mich haben. Oder ob ich sonst helfen kann . . .«
»Sie sollten Ihren Tee trinken. Aber wenn Sie schon hier sind – was war das, was Sie mir über Zundts Geldgeber erzählen wollten?«, fragt Berndorf. Grassl lässt sich langsam auf alle viere nieder und robbt zum Schreibtisch. Dort richtet er sich mühsam auf, mit einem ängstlichen Blick auf das zerschossene Fenster und den Scherbenteppich davor.
»Keine Sorge«, sagt Berndorf, »wir sind hier außerhalb des Schussfelds der Leute draußen.« Tamar lehnt an der Fensterlaibung und späht nach dem Buchengehölz, das Gewehr über dem rechten Arm.
»Diese Geldgeber waren Zundts großes Geheimnis«, sagt Grassl, »er wollte nie darüber sprechen. Es müsse still geholfen werden, hat er immer gesagt, sodass es kein Aufsehen gebe. Keine Spendernamen, keine Besuche, keine Abrechnungen... ich weiß auch nicht, wohin das Geld gegangen ist. Wirklich nicht.«
»Das nehme ich Ihnen nicht ab«, sagt Berndorf freundlich.
»Na ja«, meint Grassl zurückhaltend, »vielleicht hat er einen Teil für sich behalten. Auf ein österreichisches Nummernkonto eingezahlt. Oder nach Liechtenstein gebracht. Vielleicht nicht bloß einen Teil. Sondern das Ganze.«
Berndorf blickt ihn prüfend an. »Wer erhielt diese Festgaben?«
»Die hat er von der Druckerei in Wintersingen verschicken lassen. Einmal war ich dabei. Die Liste mit den Anschriften wurde in die Adressiermaschine eingescannt, und danach hat er darauf bestanden, dass die Adressen wieder gelöscht werden.« Grassls misshandeltes Gesicht verzieht sich zu einem Lächeln. »Ich hab natürlich auf ein paar der Anschriften einen Blick werfen können und sie mir gemerkt. Bauunternehmer aus dem Land, ein oder zwei Textilfabrikanten, aber auch Leute aus dem Bankgewerbe, lauter stille Helfer . . .«
Berndorf sieht sich auf dem Schreibtisch um. Wo die Adenauerbüste stand, ist jetzt ein heller Fleck. Daneben liegt noch immer das Telefonbuch für Ulm und den Donau-Alb-Kreis, Ausgabe 1997.
»Demnächst ist hier die Polizei im Haus«, sagt Berndorf. »Ich werde nicht da sein, und der Herr Schatte auch nicht. Der Herr Professor muss ins Krankenhaus. Was werden Sie dann der Polizei erzählen?« Während er das fragt, blättert er das Telefonbuch durch.
»Ich muss doch die Wahrheit sagen«, antwortet Grassl. »Dass diese Leute mich umbringen wollten. Sie sind schon tot, aber Sie werden noch darum betteln, den Totenschlaf zu tun , sagte dieser Professor zu mir. Glauben Sie, ich vergesse so etwas?«
»Sie wissen, dass diese junge Frau hier Ihnen das Leben gerettet hat?«
»Aber sicher weiß ich das, ich weiß nur nicht . . .« Unsicherheit macht sich in seiner Stimme breit.
»Wenn Sie nur dabei bleiben, was Sie mir gesagt haben, auch vor der Polizei«, antwortet Berndorf. »Sagen Sie – kennen Sie einen dieser Leute?« Und er hält ihm das Telefonbuch hin, das er am Ende aufgeschlagen hat, denn dort sind einige Seiten eingeklebt. Die Seiten sind aus dem dünnen Durchschlagpapier, wie es zu Zeiten der alten Olympia-Schreibmaschinen im Gebrauch war, und säuberlich sind darauf in alphabetischer Reihenfolge Namen und Firmenbezeichnungen und deren Anschriften getippt.
»Ja natürlich«, sagt Grassl und erkennt zwei oder drei Namen. »Das sind welche von den Geldgebern, von denen ich Ihnen erzählt habe . . .« Plötzlich ist seine Stimme ganz aufgeregt.
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