Die schwarzen Raender der Glut
Hilferuf zu erkennen, ich will nicht daran denken, was jetzt mit mir wäre, wenn Sie das Ding abgeschaltet gehabt hätten . . .« Ruhig Unsinn reden. Hauptsache, anderes Thema.
»Es ist doch klar, dass ich für Sie erreichbar sein wollte. Aber wie haben Sie das eigentlich gemacht – ich meine, Sie hatten ja keine Zeit mehr zu wählen?«
Es klappt. Ein bisschen. »Ich hatte zuletzt mit Ihnen gesprochen, danach mit niemandem mehr.« Schiefes Grinsen. »Als mich der Kerl an dem Verschlag mit diesem halb toten Grassl überrascht hat, konnte ich gerade noch zweimal auf die Gesprächstaste drücken. Die Rufwiederholung. Wo ist Grassl jetzt?«
»Seifert und ich haben ihn aus seinem Stall geholt und der Alten gesagt, dass sie ihm einen Tee kochen soll . . ., übrigens war er gerade dabei, seinen Gürtel wieder anzuziehen. Hat er versucht . . .?«
»Er hat es sich überlegt?«
Tamar nickt. »In den Stall haben wir dann die beiden anderen eingesperrt. Der eine ist noch nicht ganz da. Ich glaube, ich habe ihn etwas zu hart an der Schläfe getroffen, als er um die Ecke kam, vielleicht stirbt er auch noch, dann hab ich zwei . . .« An ihrer Stimme zerrt aufkommende Panik. Manchmal hilft Zynismus, denkt Berndorf. »Fein, dass nicht nur mir so etwas passiert.« Keine Reaktion. Einfach weiterreden. »Wie haben Sie es fertig gebracht, gleichzeitig mit dem Propheten aufzutreten?«
»Dass Sie hier sind, konnte ich mir denken. Aber ich hab jemand gebraucht, der mir Zutritt verschafft. Oder die Aufpasser ablenkt. Also bin ich zu ihm gefahren.« Berndorf hat sich jetzt vom Fenster abgewandt. Sie sieht, dass er ihr zunickt und lächelt wie über einen gelungenen Einfall.
»Aber jetzt müssen wir im Neuen Bau anrufen, wirklich«, wiederholt Tamar. »Haben Sie denn nicht begriffen – ich habe einen Menschen umgebracht . . .«
»Natürlich habe ich begriffen«, sagt Berndorf. »Ich war ja dabei. Sie haben geschossen, weil wir in Lebensgefahr waren, erinnern Sie sich? Vielleicht sind wir das noch immer. Bitte denken Sie daran.«
»Ich verstehe nur, dass Sie mich ablenken wollen.«
Berndorf schüttelt den Kopf. »Es gibt zwei Möglichkeiten. Die eine: Schatte hat Recht, und die Oberförster stecken so tief in der Geschichte drin, dass sie ihn herauspauken müssen,
wie auch immer. Das ist schon schlecht. Sie könnten keine Zeugen brauchen.«
»Und was soll die zweite Möglichkeit sein?«
»Dass ich Recht habe. Dann stecken die Oberförster sogar noch etwas tiefer drin. So tief, dass sie als Erstes Schatte liquidieren. Leider bei Verhör aus Fenster gefallen. Leider Gerangel bei der Festnahme, sodass sich tief bedauerlich Schuss gelöst. Auch nicht besser. Sie könnten noch immer keine Zeugen brauchen. Was tun?«
»Die Kollegen anrufen. Ich habe . . .«
»Mein Vorschlag ist, dass Sie nicht sofort anrufen«, unterbricht sie Berndorf. »Erst in ein paar Minuten. Lassen Sie mich erst einen kleinen Feld-Wald-und-Wiesen-Versuch machen.« Er geht zu dem Bücherregal, an dem noch immer das Schnellfeuergewehr des Mannes lehnt, der eines auf die Schläfe bekommen hat. Das klobige Ding ist eine G 11 von Heckler & Koch, ein teures Gerät mit extrem hoher Feuergeschwindigkeit, wie Berndorf aus einer Fachzeitschrift weiß. Er geht damit wieder zum Fenster. »Zeigen Sie mir doch, wo ungefähr Weimer und sein Gehilfe gestanden sind, damals, als Sie die beiden aufgestöbert haben.«
Tamar betrachtet das Waldstück, das sich südwestlich des Akademiegebäudes über die Hänge zieht. »Sehen Sie in Richtung zwischen zweiter und dritter Kastanie einen Bestand von Jungbuchen am Waldrand? Da ungefähr.«
»Gehen Sie zur Seite, ein Stück zur Wand bitte.« Berndorf öffnet das Fenster, ein Windstoß zieht herein, er nimmt die G 11 und gibt zwischen zweiter und dritter Kastanie hindurch eine Salve ab, dass vorne im Wald Laub und morsches Holz durch die Luft wirbeln. Dann drückt er sich zur Seite, hinter die Wand neben dem Fenster.
Prasselnd antwortet ein Kugelhagel aus dem Wald, lässt Fenster splittern und stäubt in Buchrücken.
»Variante zwei«, sagt Berndorf. »Wo ist Schatte jetzt?«
»Unten, in einem Zimmer hinter der Eingangshalle«, antwortet Tamar. »Als ich ihn zuletzt sah, saß er apathisch in einem
Sessel. Er bat darum, dass wir Felix aus dem Zimmer nehmen. Ich habe ihm gesagt, dass der Hund bleibt.«
»Gibt es noch einen anderen Weg hier heraus, nicht nur den hier auf dem Präsentierteller?« Vorsichtig deutet er in Richtung des
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