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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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der Akademie. Er hat Margarethe Zundt nach Ulm zum Zug gebracht. Hat sie Ihnen das nicht gesagt?«
    »Nein«, antwortet Tamar und ärgert sich, weil sie die Spinnstuben-Lesbe nicht danach gefragt hat.
    »Grassl kann natürlich bis zum Mittag wieder zurück gewesen sein«, fährt Seifert fort. »Nur gibt es noch einen anderen Grund, warum der demolierte Wagen mit Zundts Tod möglicherweise doch nichts zu tun hat.« Er sieht sich um. In einer Ecke ist eine Sitzgruppe, die nach ausrangiertem Zahnarzt-Wartezimmer aussieht. Man nimmt Platz.
    »Unsere jungen Männer im Dorf«, sagt Seifert mit gedämpfter Stimme, »sind auf diesen Herrn Grassl nicht besonders gut zu sprechen. Wenn es stimmt, was mir mein Gemeindearbeiter gesagt hat, dann gilt Grassl als Spanner.« Entschuldigend hebt er beide Hände. »Ich will dem Herrn Grassl gerne glauben, dass er jemand ist, der einfach die Natur beobachten möchte, die Turmfalken und Mauersegler und Milane. Ich hoffe, dass es so ist. Nur sind unsere jungen Männer im Dorf ein wenig misstrauisch, und was sich bei ihnen einmal im Kopf festgesetzt hat, geht da nicht mehr so leicht heraus.«
    Das könnte den eingedellten Audi allerdings durchaus auch erklären, denkt Tamar. Und den Anruf. Nein, vom Anruf nur einen Teil. Was ist mit den Paketen?

    »Ich habe nun meinen Erwin Marz – das ist unser Gemeindearbeiter  – etwas eingehender befragt«, berichtet Seifert. Das eingehender klingt so, dass Tamar aufhorcht. »Man will ja schon wissen, wer solche Erkenntnisse über den Herrn Grassl in Umlauf setzt. Mein guter Marz ist dann aber plötzlich sehr schweigsam geworden. Und das gibt mir zu denken. Wenn Sie einverstanden sind, würde ich jetzt gerne mit Ihnen zu einem unserer jungen Männer fahren.«
    Kuttler wirft einen etwas irritierten Blick auf Tamar. Wer führt hier eigentlich die Ermittlungen? Doch Tamar steht auf und meint, dass sie das sehr gerne tue, und Kuttler solle vielleicht doch die Spurensicherung anrufen.
    »Schon geschehen, Chef«, sagt Kuttler und horcht auf.
    Von oben schrillt ein hohes, klagendes Geräusch durch Türen und Vorhänge und weht die Treppe herab.
    Tamar stutzt, dann setzt sie mit langen Sprüngen über die Stufen hoch. In Abständen folgen Kuttler und, bedächtig, der Prophet Jonas.
    Tamar erreicht ein Arbeitszimmer, in dem zwischen langen deckenhohen Bücherregalen kalter Zigarrenrauch hängt. Eines der Regale hat sich herausziehen und zur Seite schieben lassen. Dahinter sieht man Mauerwerk, in das ein altertümlicher Safe eingelassen ist. Die Tür steht offen. Soweit es Tamar beurteilen kann, ist der Tresor nicht gewaltsam geöffnet worden.
    Die Fächer selbst sind leer. Margarethe Zundt steht daneben und hält sich an dem frei stehenden Bücherregal fest. Immerhin hat sie das Schrillen eingestellt. Kuttler und der Prophet verharren taktvoll an der Tür.
    Die Witwe sieht Tamar an, beginnt zu schwanken und lässt sich auf sie sinken. Tamar fängt sie auf und verstaut sie behutsam in einem Sessel mit gedrechselten Beinen.
    »Es ist alles weg«, haucht die Witwe Zundt und hält Tamars Hand fest. »Alles.«
    »War der Tresor geöffnet, als Sie nachgeschaut haben?«
    Die Witwe schüttelt den Kopf.

    »Und das Bücherregal?«
    »Das war über den Stahlschrank geschoben, wie sonst auch. Es sah alles so aus, als ob nichts geschehen wäre. Aber ich habe es sofort empfunden. Ich trat hier ein und wusste, dass sich Böses Zutritt verschafft hat. Dass etwas Zerstörendes, Zersetzendes hier eingedrungen ist.« Noch immer hält sie Tamars Hand umklammert. Ein spinnentrocken harter Griff.
    »Wollen Sie mir sagen, was Sie in dem Tresor aufbewahrt haben?«
    Die Witwe sieht sie groß an. »Die Aufzeichnungen, Kindchen. Schriften von unschätzbarem Wert. Die Tagebücher meines Vaters. Was mein armer Gatte . . .«
    Der Satz bleibt unvollendet, weil die Witwe in Tränen ausbricht. Tamar sucht mit der freien Hand nach einem Papiertaschentuch und findet zum Glück ein ungebrauchtes. Schniefend nimmt es die Witwe, was Tamar Gelegenheit gibt, sich aus dem Klammergriff zu befreien.
    »Wer hat einen Schlüssel für den Tresor?«
    Übers Taschentuch hinweg schaut die Witwe sie aufmerksam an. »Nur ich und mein Gatte. Wer sonst soll einen haben?«
    Beim toten Zundt fand sich nichts, denkt Tamar, was nach einem Schlüssel für einen Tresor aussieht. Und Aufzeichnungen hatte er auch keine bei sich. Sie sieht sich um. Der ausladende altmodische Schreibtisch ist leer bis auf das

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