Die schwarzen Raender der Glut
war. Um nicht zu sagen: verstockt. Und ich hab mir überlegt, warum das so ist, und wie ich so überlege, kommt mir der Sohn von Marzens Schwester in den Sinn, der Lothar Jehle. An seiner Konfirmation war das noch ein schmächtiges Büble, aber jetzt ist der Lothar ein kräftiger Kerl geworden, einer, den man brauchen kann, und ich habe schon sagen hören, das hätte sogar die Christa vom Waldnerhof gefunden. Und das will etwas heißen. Der Waldnerhof und das Anwesen der Jehles liegen beide im Unterdorf, es sind Nachbarn, und die einen können den anderen in die Küche schauen.«
»Nett«, meint Tamar. »Und was ist mit der Sau?«
»Es muss in der ersten Nachkriegszeit gewesen sein«, antwortet Seifert. »Der Erbe vom Waldnerhof war ein paar Monate zuvor aus der französischen Kriegsgefangenschaft zurückgekommen und hat dann eine von den jungen Flüchtlingsfrauen heiraten wollen, das war selten, und im Dorf hat man noch lange darüber geredet. Die Braut hat keine Aussteuer gehabt, aber die Waldners hatten einen guten Kunden aus Reutlingen, einen Textilfabrikanten, der hat ihnen alles besorgt, und der jungen Frau auch ein Brautkleid, wie man es vor dem Krieg hatte, ich glaub nicht, dass man es heute für zwei Schweinehälften bekäme . . .«
Ein bisschen verwirrend, das alles, denkt Tamar. Und nicht gerade mein Thema.
»Aber es wurde nichts mit dem Brautkleid«, fährt Seifert fort. »Es war die Zeit, in der alles bewirtschaftet war, Fleisch gab es, wenn überhaupt, nur auf Marken, und die Bauern mussten alles abliefern. Und als der alte Waldner die Sau abgestochen hat und die Frauen in der Waschküche dabei sind, alles herzurichten für den Reutlinger Fabrikanten, da steht die Gendarmerie in der Waschküche und nimmt den Waldner mit, und die schönen zwei Schweinehälften auch, denn die Sau war schwarz geschlachtet.«
Der Ford zockelt auf die Dorfstraße und biegt dann nach rechts in eine abschüssige Straße ein. Seifert hält auf der Einfahrt
vor einem Haus mit einem Vorgarten, in dem Gemüse wächst und bunt blühende Blumen. Dazwischen steht gebückt eine Frau in Jeans und jätet Unkraut. Seifert steigt aus und sagt: »Grüß Gott!« und fragt, wo denn der Lothar sei.
Die Frau in den Jeans richtet sich auf, und ihr Gesicht ist von der Arbeit gerötet. »Nein«, antwortet sie unwirsch, sie weiß es nicht, »der Bub schafft genug, Jonas, der muss auch mal raus, zu anderen jungen Leuten.«
Seifert nickt bedächtig. Dann geht er zur Dorfstraße zurück und in die nächste Einfahrt, die zu einem Bauernhof gehört, der noch richtig einen Stall hat und eine Miste. Auf dem Hof ist niemand, er geht in das Wohnhaus, bleibt dort aber nicht lange.
Felix nützt die Zwischenzeit, seinen dicken Kopf wieder auf Tamars Rückenlehne zu legen und sie vertrauensvoll anzuschniefen.
»Haben Sie noch etwas Zeit?«, fragt Seifert, als er wieder in den Wagen steigt. »Ich will noch einen Versuch machen.«
Tamar ist einverstanden. »Außerdem wollten Sie mir noch erzählen, was aus dem Brautpaar wurde.«
»Die haben dann auch ohne Aussteuer geheiratet«, antwortet Seifert. »Aber kein Waldner hat bis heute jemals mehr ein Wort mit einem Jehle geredet. Noch immer können sie sich gegenseitig in die Küche schauen. Aber sie reden nicht miteinander. Die Alten nicht und nicht die Jungen. Und deren Kinder auch nicht. Vielleicht ist es jetzt, in der vierten Generation, anders geworden.«
»Die Jehles haben also die anderen angezeigt«, vermutet Tamar. »Aber warum?«
»Vielleicht waren sie es auch gar nicht.« Ruckelnd fährt der Ford-Kombi wieder aus dem Dorf heraus. »Aber wenn es doch der alte Jehle gewesen war, dann vielleicht nur deshalb, weil sein Ältester nicht aus dem Krieg zurückkam. Oder weil der Waldner Ortsbauernführer war in der Nazizeit und wie ein Schießhund dahinterher, dass die anderen alles abgeliefert haben . . . Solche Geschichten haben lange Wurzeln, und immer treiben sie neue Schößlinge.«
Der Kombi holpert auf einem Feldweg eine Anhöhe hinauf, bis sie auf eine Hochfläche kommen. Unter dem blassblauen Himmel erstrecken sich Getreide- und Maisfelder fast bis zum Waldrand im Norden. Die ersten Felder sind bereits abgeerntet. Am Rand eines Feldwegs ist ein Traktor abgestellt, und einige Meter weiter ein Wagen. Davor stehen zwei Leute, und es sieht aus, als seien sie in ein Gespräch vertieft.
Seifert fährt auf die zwei zu, es sind ein junger Mann und eine junge Frau, die Frau trägt ein Kopftuch und
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