Die schwarzen Raender der Glut
sie entschlossen. Plötzlich findet sie nichts dabei, seinen Vornamen zu nennen. »Er ist tot. Er hat . . .« Das muss nicht auf der Straße beredet werden. »Wollen Sie nicht auf einen Kaffee mitkommen? Ich wohne gleich da vorne.«
Einige Minuten später nimmt Berndorf in dem Sessel vor dem Couchtisch Platz, er sieht sich in dem kleinen, dunklen Wohnzimmer um, Fernseher, Schrankwand, an der anderen Wand hängen ein paar gerahmte Fotos, auf der Couch breitet ein Pandabär die Plüscharme aus . . . Die Frau macht sich in der Küche zu schaffen, Berndorf steht auf und sieht sich die Fotos an, Kindheitserinnerungen, nichts von Wilhelm Troppau.
Die Frau kommt mit einem Tablett herein, blau geblümtes Service, dazu gibt es Kekse aus der Reformhaus-Abteilung. Der Kaffee lässt sich trinken, findet Berndorf und lobt ihn. Und dann erzählt er, wie sie zusammen bei der Polizei waren, Troppau und er, damals in Mannheim.
»Da wissen Sie sicher auch von dieser schrecklichen Geschichte?« , fragt sie plötzlich.
Das also hat er ihr erzählt. »Ja«, sagt er, »ich weiß davon. Natürlich weiß ich es.« Er erklärt ihr, dass er der Einsatzleiter war. Damals. »Für das, was da geschehen ist, bin ich verantwortlich. Nicht Wilhelm.« Er hat gemerkt, dass es bei ihr besser ankommt, wenn er ihn beim Vornamen nennt.
Die Frau sieht ihn aufmerksam und zweifelnd an. »Das verstehe ich nicht. Aber er hat doch . . . Und warum hat man dann dieses schreckliche Flugblatt überall verteilt?«
Berndorf, der gerade nach der Kaffeetasse greifen will, hält inne. Flugblatt? Er wirft einen Blick auf die Frau. Dunkle Haare,
dunkel vermutlich nicht mehr lange. Falten um Augen und Mund. Farbloser Lack an den Fingernägeln, der langsam abbröckelt. Und du? Seit drei Tagen läufst du durch den Heidelberger Sommer. Ein Pflastertreter auf der Suche nach Dingen, die nicht sind. Einer, der das Nichts selbst dort findet, wo etwas sein sollte. Ein Entdecker der Leere.
Aber diese Frau da ... Was für Flugblätter?
»Ja, nun haben Sie es selbst angesprochen«, lügt er. »Wegen dieses Flugblattes wollte ich mit ihm reden. Was man da vielleicht tun kann, verstehen Sie? Wann ist es denn aufgetaucht?«
Die Frau sieht ihn noch immer zweifelnd an. Sie merkt die Lüge, denkt er.
»So gut haben wir uns gar nicht gekannt«, sagt sie plötzlich. »Ich bin Kassiererin in einem Drogeriemarkt, in dem er manchmal Kunde war, wir haben immer nur ein paar Worte gewechselt, aber daran, dass er dort überhaupt eingekauft hat, hab ich gemerkt, dass er allein stehend ist.« Ein leichte Röte zieht sich über ihr Gesicht.
Dass er auch allein stehend ist, willst du sagen, denkt Berndorf. »Irgendwie hat er mir Leid getan. Ein großer stämmiger Mann, der immer so aussah, als ob er sich verlaufen hätte. Erst später hat er mir gesagt, dass er Depressionen hat.«
»Da kannten Sie ihn schon näher?«
»Ich hab mir mal ein Herz genommen und ihn eingeladen, er soll doch mit auf unser Gemeindefest kommen. Das war im Sommer vor drei Jahren. Er ging dann auch mit, und es war sehr nett, und er ist dann auch zu unseren Gottesdiensten gekommen. . .«
Aber mehr war nicht? Berndorf wartet.
»Mir kam es damals so vor, als sei er fröhlicher geworden, aufgeschlossener. Aber dann gab es immer wieder eine Zeit, in der er sich ganz in sich vergraben hat. Dann wollte er sich auch nicht mit mir treffen. Aber irgendwann hat er mir dann diese Geschichte erzählt. Die, wo Sie dabei waren.«
Sie macht eine Pause und greift nach einem Stück Gebäck. Berndorf sieht zu, wie ihre Finger den Keks zerbröseln.
»Ich glaube, das Schlimmste war, dass ihm niemand gesagt hat, was er tun soll. Wenn einem so etwas passiert, dann muss doch jemand da sein, der sagt, du hast das und das gemacht, und das und das ist deine Strafe . . .« Sie unterbricht sich. »Das klingt gerade, als ob er im Drogeriemarkt ein Fläschchen Parfüm heruntergeworfen hätte. Vielleicht war das der Fehler.«
»Es sind damals einige Dinge unklar geblieben«, weicht Berndorf aus. »Wir wissen bis heute nicht ganz genau, was sich abgespielt hat. Kann es sein, dass er versucht hat, das herauszufinden?«
Red nicht so wie dieser Prediger. Du weißt nicht.
»Woher wissen Sie das?«, fragt die Frau zurück. »Manchmal, wenn er noch nicht in seiner schlimmen Stimmung war, hat er gesagt, die haben mich damals hereingelegt. Haben mich in ein Feuer gestellt, damit etwas anderes im Dunkeln bleibt. Aber er wird es noch
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