Die schwarzen Raender der Glut
Musikerzieher-Smoking, ein klein wenig zu konventionell. Aber war es nicht eine für seine Verhältnisse ungewöhnlich charmante Idee, ihr an diesem dummen unnützen Samstag noch die Karten für die Festspiele zu besorgen? Gewiss sieht sie »Was ihr wollt« nicht zum ersten Mal, aber die Idee des Regisseurs, die Rolle der Viola ganz elisabethanisch zu besetzen, also mit einem knackigen jungen Mann, hat durchaus etwas für sich . . . »Also es ist ein Junge, der ein
Mädchen spielt, das sich als Junge verkleidet«, erklärt sie Hubert, der ihr irgendwie nervös erscheint, als sitze ihm der Smoking zu knapp, und der schon wieder eines dieser weißen Plastiktütchen aufreißt, um sich ein frisches Brillentuch zu nehmen.
»Ist es nun sie oder ist es er«, fährt Birgit fort, »der sich in den Herzog verliebt, und ist es er oder ist es doch sie, die Olivia zum Schmelzen bringt?« Der Glücksdrache fächelt mit rotgoldener Zunge, und für einen Augenblick geht es durch Birgits Kopf, wie sie es denn vorziehen würde, wäre sie Olivia, aber dann fällt ihr Blick auf zwei Frauen, eine dick und qualmend und in ein unmögliches Abendkleid gestopft, die andere in grauem Fummel und mit langen abstehenden grauen Haaren, nicht schon wieder, denkt Birgit und wendet sich Hubert zu, der widersprechen will.
»Nein«, sagt er, »ich weiß nicht, ob mir das gefällt – dass Olivia sich zu einer verkleideten Viola hingezogen fühlt, das ist ja irgendwie hübsch und vielleicht auch traurig, für die Olivia, meine ich. Aber wenn Viola ein Kerl ist, der dem Herzog nachstellt . . .«
»Die Schwulen würden sagen, du bist homophob«, bemerkt Birgit, aber dann kommt auch schon das Klingelzeichen, das das Ende der Pause ankündigt, und sie gehen wieder hinein in das Theater mit seinen goldverzierten Rokoko-Logen, spielerisch schlägt Birgit den Fächer auf, dies ist dein Abend, ein Abend für dich, soll ihr der Glücksdrache sagen, aber plötzlich glaubt sie ihm nicht mehr.
Außerdem spürt sie wieder dieses Jucken.
»Ich komm nicht darüber weg«, schnauft Isabella und zwängt sich auf ihren Platz, »also dieser Kerl kommt zu mir und sagt, dass die Betriebsgenehmigung für die Heizung abgelaufen ist, hast du so etwas schon einmal gehört? Und dass der Eigentümer die ganzen Rohre ausbauen lassen will, weil Zentralheizungen ökologisch sowieso überholt seien, kannst du dir das vorstellen? So ein Heini in knappen Jeanshöschen und mit
kurz geschorenen Haaren und mit Goldring im Ohr, und will mir was von Ökologie erzählen!«
Auch Franziska setzt sich. »Ich nehme an, du hast ihn gefragt, wann der Umbau stattfinden soll?«
»Natürlich hab ich ihn das gefragt«, antwortet Isabella, »immer wieder, und immer wieder habe ich eine von diesen wachsweichen Antworten bekommen, nach den Handwerkerferien, selbstverständlich werden wir uns bemühen, gnädige Frau, bis zu Beginn der Heizperiode . . . Der verarscht mich doch, der Heini, macht sich über mich lustig mit seinem« – hasserfüllt bekommt Isabella einen ganz spitzen Mund – »mit seinem Gnädige Frau, andersrum ist er wahrscheinlich auch noch, ganz sicher ist er das, das sind die Schlimmsten, in meiner Branche muss ich mich da auskennen . . .«
In der Kuppel über dem Parkett erlöschen die Kronleuchter. Das Gemurmel im Publikum verstummt, in der Luft hängt der Geruch der Deos und des Parfüms, das von nackten Frauenschultern aufsteigt.
»Ich bin morgen in Frankfurt«, flüstert Franziska, »eine alte Freundin besuchen, schau’n wir mal, was ich über diesen Eigentümer herausfinde.«
OLIVIA: Bleib! Ich bitt dich, sage, was du von mir denkst.
VIOLA: Nun, dass Ihr denkt, Ihr seid nicht, was Ihr seid.
OLIVIA: Und denk ich so, denk ich von Euch dasselbe.
VIOLA: Da denkt Ihr recht: ich bin nicht, was ich bin . . .
Bin ich denn, was ich bin, fragt sich Birgit. Bin ich wohl. Mann ist Mann, oder? Nicht immer. Aber Frau ist Frau. Da gibt es keine Täuschung. Keine wirkliche. Wer den anderen täuschen will, muss den anderen verstehen. Viola kann Olivia täuschen, weil beides Frauen sind. Oder sein sollten. Nur deshalb. Ein Mann kann eine Frau nicht täuschen. Nicht auf Dauer. Wieso hat Hubert eigentlich am Samstagnachmittag noch die Karten besorgt? Und wo hat er sie um diese Zeit bekommen?
Und wieso hab ich eigentlich einen Pilz eingefangen, oder
was ist es, was ich da unten hab? Ich war doch gar nicht schwimmen. Und wenn ich den von Hubert hab, von wem . . .
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