Die schwarzen Raender der Glut
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OLIVIA: Verschämte Liebe, ach! Sie verrät sich schnell wie Blutschuld . . .
Montag, 3. Juli
Die Fenstersprossen gliedern das Sonnenlicht, das in das dunkle holzgetäfelte Büro fällt, zu lang gestreckten Rechtecken. Tamar bleibt an der Türe stehen. »Sie haben mich rufen lassen?«, sagt sie zu dem Mann, der am Schreibtisch sitzt und über ein Schriftstück gebeugt ist. Der Schreibtisch ist leer, denn auf der Führungsakademie hat man Kriminalrat Englin beigebracht, dass ein leerer Schreibtisch eines der Kennzeichen eines guten Vorgesetzten ist.
Englin reagiert nicht und liest weiter. Denn wenn er ein Schriftstück liest, ist es ein wichtiges Schriftstück. Eines, das zu Ende gelesen werden muss, auch wenn es nur Tamars Bericht ist, den sie noch vor der Morgenkonferenz bei Englins Sekretärin abgegeben hat. Eines nach dem anderen zu tun ist auch eines der Kennzeichen, die Englin auf der Führungsakademie. . .
»Nehmen Sie bitte Platz«, sagt er schließlich und sieht zu ihr hoch. Trotz des Gegenlichts erkennt Tamar, wie sein linkes Augenlid kurz und hektisch zuckt. »Ich wollte mit Ihnen noch über diese Geschichte in Wieshülen sprechen . . .«
Tamar nimmt den Besucherstuhl und setzt sich, gerade aufgerichtet, ohne sich anzulehnen. Dann fällt ihr ein, dass das exakt die Das-ist-aber-ein-wohlerzogenes-Mädchen-Haltung ist, und fläzt sich tief in den Stuhl.
»Ich meine, und das ist vielleicht bei unserem Telefonat am Samstag nicht deutlich genug ausgesprochen worden«, beunruhigt zuckt das Augenlid, »dass Sie da ja sehr umsichtig vorgegangen
sind, es wäre ja unverzeihlich, ja geradezu verhängnisvoll, wenn wir bei dem Tod einer solchen Persönlichkeit nicht alle Umstände einer sorgfältigen . . .«
Wieder zuckt das Augenlid. Jetzt weißt du nicht weiter, wie, denkt Tamar. Im Gehege deiner Gewundenheiten verstolpert. Und was ist das überhaupt für eine neue Teufelei, die du vorhast?
»Also sehr umsichtig«, schließt Englin fürs Erste seinen Gedankengang. »Und ich bin Ihnen auch durchaus dankbar, dass Sie die Umstände aufgelistet haben, die – nun ja, an ein Fremdverschulden denken lassen könnten. Äh.« Er beugt sich wieder über den Bericht, dann zieht er ein zweites Schriftstück darunter vor. »Glücklicherweise können wir die von Ihnen zusammengetragenen Fragen – nun ja, vielleicht nicht gänzlich, aber doch insoweit beantworten, dass dritte Personen an dem Unfalltod des Herrn Zundt nicht beteiligt gewesen sein können, weil sich solche dritten Personen zur fraglichen Zeit nicht im Umkreis der Grünheim-Akademie aufgehalten haben . . .«
Was für ein Unsinn!, denkt Tamar. Vom Oberverfassungsförster und seinem Adjunkten haben wir uns sogar die Papiere zeigen lassen.
»Ich habe hier eine Mitteilung aus dem Landesamt für Verfassungsschutz«, fährt Englin fort. »Regierungsdirektor Weimer teilt mir darin mit, dass seiner Dienststelle Hinweise zugegangen seien, die . . .« – heftiges Zwinkern – ». . . also die auf mögliche bedenkliche Aktionen im Umfeld der Akademie hinweisen, ein an sich sehr bedauerlicher Umstand.«
Hinweise, die hinweisen, weisen hin.
»Regierungsdirektor Weimer hat sich deshalb entschlossen, die Akademie observieren zu lassen. Aber das wissen Sie ja.« Englins Gesichtsmuskeln zerren seine Oberlippe hoch. »Fernmündlich hat sich Kollege Weimer übrigens sehr anerkennend über Sie geäußert. Er hätte nicht gedacht, dass Sie die Oberservation bemerken würden. Er hat mir sogar gesagt, wenn ich keine Verwendung mehr für Sie hätte, würde er Sie
mit Handkuss nehmen!« Ein merkwürdiges Geräusch bricht aus ihm heraus. Tamar braucht einige Zeit, bis sie begreift, dass es ein Kichern ist. »Ich habe natürlich sofort klargestellt, dass wir Sie uns auf gar keinen Fall abwerben lassen.«
Pfui Teufel, denkt Tamar. Diese Geschichte wird oberfaul.
»Ja«, fährt Englin fort, nachdem seine Gesichtsmuskeln die Oberlippe wieder haben fallen lassen. »Wir haben hier also die zuverlässigsten Zeugen, die wir uns wünschen können. Und wir können zweifelsfrei sagen, dass es im Fall Zundt kein irgendwie geartetes Fremdverschulden gegeben hat . . . Wir können diese Akte also guten Gewissens schließen.«
»Versteh ich das recht«, fragt Tamar zurück, »der Verfassungsschutz entscheidet, wann wir ermitteln und wann nicht?«
Weh zuckt Englins Augenlid. »Aber ich bitte Sie! Das ist doch nichts weiter als kollegiale Amtshilfe, eine uns bedrängende Frage wird
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