Die schwarzen Raender der Glut
dabei tödliche Verletzungen erlitten. Seine Leiche wurde heute Morgen gefunden, als Gemeindearbeiter einen gesperrten Wanderweg am Albtrauf überprüften. Zundt hat die von seinem Schwiegervater Johannes Grünheim gegründete Akademie für Sprache und Volkstum seit den Siebzigerjahren geleitet. Für sein Wirken ist er mit der Goldenen Staatsmedaille des Landes Baden-Württemberg sowie dem Bundesverdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet worden . . .«
Grassl schaltet den Fernseher ab, steht auf und wischt sich mit dem Handrücken über die Stirn. Wieder berührt er das Pflaster. Seine erste Reaktion war gewesen, dass er kichern
wollte, klammheimlich. Der Alte fällt den Albtrauf runter und bricht sich den Hals, zu komisch. Also die Alb kenne ich wie meine Hosentasche. Von wegen.
Dann hat er plötzlich wieder die Männer vor sich gesehen. Die in dem blauen BMW. Und die, die ihm am Waldrand aufgelauert hatten. Denen er gerade noch entwischt war.
Die Männer waren auch hinter Zundt her gewesen.
Aber Zundt war ihnen nicht entwischt.
Sie haben ihn umgebracht. Florian Grassl beginnt, sich zu überlegen, was das für ihn selbst bedeutet. Was daraus folgt, wenn man es mit Mördern zu tun hat.
Wieder kommt er am Fernseher vorbei, läuft auf die Bücherwand zu und dreht um. Das wievielte Mal ist das schon? Er weiß es nicht.
»Beeil dich mal«, ruft Hannah ins Badezimmer, »im Fernsehen bringen sie gerade deinen Toten.« In der Tür erscheint Tamar, in einen Bademantel gepackt, und trocknet sich mit schräg geneigtem Kopf die langen dunklen Haare .
. . . der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet worden , ist alles, was sie noch zu hören bekommt.
»Der war ja schon zu seinen Lebzeiten ziemlich gruftig«, sagt Hannah. »Leute, die mit deutscher Sprache umgehen, sollten nicht so vertrocknet aussehen. Nicht einmal in Wieshülen. Aber wieso eigentlich Wieshülen? Haben die da den schwäbischen Urdialekt erforscht? Die armen Leute brauchen doch einen halben Tag, dann sind sie mit dreimal Umsteigen gerade bis Reutlingen gekommen, stell dir das mal vor.«
Tamar setzt sich neben Hannah und pult sich Wasser aus den Ohren. »Wenn ich das richtig verstanden habe, was mir der Ortsvorsteher gesagt hat, dann war diese Akademie früher eine Art Nazi-Internat. Und zwar für Kinder aus dem krummen Elsass. Die armen Dinger sollten aufgenordet werden, oder wie das damals hieß.«
»Und warum haben die das Internat nach dem Krieg nicht abgefackelt?«
»Wer hätte es tun sollen? Die Kinder? Als die Franzosen kamen, hat sich der Internatsleiter ihnen als großer Nazi-Gegner angedient und ist nicht nur irgendwie davongekommen, sondern hat es sogar fertig gebracht, sich das Haus unter den Nagel zu reißen. Das war dieser Johannes Grünheim, der Vater der Sonnwend-Tucke, und er hat dann die Akademie gegründet ...« Sie lässt das Frottiertuch sinken und blickt vor sich hin. »Die Sprache dieser Leute kann ich mir ganz gut vorstellen«, sagt Hannah. »Aber wer hat diese Akademie finanziert? Ich möchte nicht von Goethe-Gedichten leben müssen, auch wenn sie in Fraktur gesetzt sind.«
»Das frage ich mich inzwischen auch«, sagt Tamar und blickt auf den Fernsehschirm. Sie stellt den Ton lauter.
»... Mit Nachdruck hat der baden-württembergische Innenminister die Forderung des Bundestagsabgeordneten Giselher Schnappauf zurückgewiesen, eine Untersuchungskommission einzusetzen, die die Arbeit und Effektivität der deutschen Nachrichtendienste und der Verfassungsschutzämter überprüfen soll. Der Bund habe keinerlei Kompetenz, von den Verfassungsschutzbehörden der Länder Rechenschaft zu verlangen, erklärt der Minister. Im Übrigen aber könnten von Schnappaufs Vorschlag nur die inneren und äußeren Feinde der Bundesrepublik profitieren.«
Tamar steht auf und sucht in ihrem Jackett, das sie über eine Stuhllehne geworfen hat, nach ihrem Notizblock. Schließlich findet sie ihn. »Hör dir das an«, sagt sie. »Amtliches Handbuch des Deutschen Bundestags, in der Fassung der Grünheim-Akademie. Die Abgeordneten in alphabetischer Reihenfolge als Loseblattsammlung. Da gibt es eine Gabriele Schnaase-Schrecklein, einfach furchtbar, und dann kommt das nächste Blatt, einen Theophil Schnatzheim, auch nicht besser, und wen gibt es nicht, den es dazwischen geben müsste?«
»Weißt du, was ich glaube? Du sollst dich nicht von solchen schrecklichen Traditions-Lesben betatschen lassen müssen.
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