Die Schwarzen Roben
Sklaven allzu freundlich zu behandeln. Schließlich hätten sie das Mißfallen des Himmels erregt, und wenn man ihnen ihr Leben zu leichtmachte, hatte der Priester gewarnt, würde dieses Vergehen nicht gesühnt. Sie würden womöglich als Nagetier oder als ein anderes niederes Tier auf dem Rad des Lebens zurückkehren, weil sie in ihrem jetzigen Leben nicht genug gelitten hatten. Ihre Füße vor Schnitten oder Blasen zu bewahren, war sicherlich zum Schaden der ewigen Geister der Sklaven.
Mara hatte dem Priester eine Botschaft voller beschwichtigender Gemeinplätze geschickt und ihre Sklaven weiter mit Sandalen ausgestattet.
Doch dieser Bericht mit der Signatur ihres Agenten und dem Abdruck des abgenutzten Siegels, das für die Wochenabrechnungen benutzt wurde, war eine andere Geschichte. Zum ersten Mal hatte ein Feind versucht, ihre freundliche Eigenart zum Schaden des Hauses Acoma auszunutzen. Auf die beschädigten Häute würde schon bald – da war sie sich sicher – ein plötzliches, scheinbar aus dem Nichts entstandenes Gerücht in den Sklavenbaracken folgen, daß sie heimlich selbst für das Feuer gesorgt habe, um sich die Kosten für die Sandalen zu sparen. Da der Besitz von Sandalen nicht nur für Bequemlichkeit sorgte, sondern den Sklaven im Dienste des Hauses Acoma auch einen besonderen Status gewährte, hüteten sie dieses Privileg. Zwar würde ein tsuranischer Sklave niemals an Rebellion denken – jeder Ungehorsam gegenüber einem Herrn oder einer Herrin war schließlich gegen den Willen der Götter –, doch allein die Vorstellung, ihre jährliche Zuteilung an Sandalen sei in Gefahr, würde einen Groll verursachen, der nicht offen sichtbar werden würde, sondern sich in nachlässiger Arbeit oder aus irgendwelchen Gründen nicht erfüllter Aufgaben zeigen würde. Die Auswirkungen auf den Wohlstand der Acoma würden gering, aber dennoch spürbar sein. Der Anschlag auf das Lagerhaus mochte sich sogar als noch weitaus heimtückischerer Plan erweisen, denn bei dem Versuch, dem Ledermangel abzuhelfen, würde Mara möglicherweise mehr als nur die Aufmerksamkeit eines alten Fanatikers im Tempel, der gerne Briefe schrieb, auf sich lenken. In gewissen Kreisen mochte ihre Verletzlichkeit erkannt werden, und Tempel, die ihr bisher freundlich gesonnen waren, konnten plötzlich »neutral« oder gar offen feindselig werden.
Und wenn sie etwas zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht gebrauchen konnte, dann waren das Probleme von Seiten der Priesterschaft; nicht jetzt, wo sich die Feinde des Kaisers mit ihren eigenen verbündet hatten, um sie zu vernichten.
Das Tablett mit der Mahlzeit war vergessen, als sie Papier und Stift in die Hand nahm und dem Makler in Sulan-Qu die Genehmigung erteilte, neues Leder zu kaufen und an die Sandalenmacher weiterzuleiten. Dann schickte sie ihren Botenjungen los, um Jican zu holen, der seinerseits den Auftrag bekam, dafür zu sorgen, daß Diener und Aufseher auf Gerüchte achten und sie mit dem Hinweis zerstreuen sollten, daß es keine Probleme hinsichtlich der Fußbekleidung für Sklaven geben würde.
Als die Angelegenheit schließlich geklärt war, schwammen die Früchte in ihrem eigenen Saft, und der Käse war in der warmen Nachmittagsluft geschmolzen. Sie war schon mit einem weiteren Bericht von dem Stapel befaßt – diesmal ging es um Handelsgeschäfte, die geeignet waren, den Anasati Unannehmlichkeiten zu bereiten –, als sie Schritte von der anderen Seite des Ladens hörte.
»Ich bin mit dem Essen fertig«, murmelte sie, ohne aufzublicken.
Da sie davon ausging, daß die Dienerin die Reste ihrer Mahlzeit wie gewöhnlich schweigsam und dienstbeflissen entfernen würde, hing sie weiter ihren Gedanken nach. Doch gleichgültig, wie viele Karawanen ausgeraubt oder wie viele Hwaet-Felder der Anasati abgefackelt wurden, gleichgültig, wie viele Lieferungen mit Kleidungsstücken auf ihrem Weg zu den Märkten in die Irre geführt oder wie viele Schiffe zum falschen Hafen geschickt wurden, es verschaffte Mara keinerlei Befriedigung. Ihr Kummer wurde nicht geringer. Sie suchte in dem Geschriebenen nach einem Ansatzpunkt, um den Feind ihren Haß dort fühlen zu lassen, wo es am meisten schmerzen würde.
Hände griffen über ihre Schulter hinweg, entwanden ihr das Schriftstück und begannen zärtlich ihren Nacken zu massieren, der von der Anspannung ganz steif geworden war. »Die Köche werden darum bitten, sich mit dem Schwert das Leben nehmen zu dürfen, wenn sie sehen, wie wenig
Weitere Kostenlose Bücher