Die schwarzen Wasser von San Marco
mitgeben.« Falkenstein schaffte es nicht ganz, die Ironie aus seiner Stimme zu verdrängen.
»Nein, nein, es geht um ein ziemlich werterhebliches Geschäft zwischen ihm und einem Kaufmann aus Lübeck. Es ist sehr wichtig, hat er gesagt, und ich solle es möglichst vertraulich behandeln.«
»Zurzeit ist nur ein Kaufmann aus Lübeck hier angemeldet: Heinrich Chaldenbergen.«
»Richtig.« Ich klopfte ihm plumpvertraulich auf die Schulter, um ihn noch ein wenig aus der Fassung zu bringen. »Genau so war der Name. Wo kann ich ihn finden?«
Oft halten sich Untergebene mehr an die ihnen erteilten Anordnungen als diejenigen, die die Anordnungen gegeben haben. Ich vertraute darauf, dass es im Fondaco dei Tedeschi zu Venedig nicht anders war, und lächelte Falkenstein zusätzlich mit meinem dümmlichsten Grinsen an, sodass er befürchten musste, ich würde ihn im nächsten Moment ins Vertrauen ziehen – und ihm damit den halben Tag stehlen.
»Chaldenbergen logiert nicht hier«, sagte er hastig.
»Das ist aber ungewöhnlich, nicht?«
Falkensteins Züge froren ein wenig ein. Zuerst fürchtete ich, er würde es als Kritik gegen seine Politik auffassen und ich hätte damit den Bogen überspannt, doch dann wurde mir klar, dass er versuchte, seinen Unmut über Chaldenbergens Verhalten nicht zu zeigen.
»Herr Chaldenbergen ist ein freier Kaufmann …«, sagte er.
»… der eine Menge Freunde in Venedig hat«, vollendete ich.
Er breitete die Hände aus.
»Ser Genovese zum Beispiel«, riet ich aufs Geratewohl.
Der Zunftrektor lachte freudlos. »Den würde er gern kennen lernen, das können Sie mir glauben. Ganz Venedig buhlt um den Mann.«
»Warum wohl?«
Burchart Falkenstein fasste mich scharf ins Auge. »Wollen Sie mich verspotten?«
Ich tat so, als wäre meine Frage sarkastisch gemeint gewesen. Er schenkte mir einen misstrauischen Blick, dann zuckte er mit den Schultern und wandte sich wieder halb ab. »Ich muss nun wirklich …«
»Ich frage mich«, sagte ich gedehnt, und Falkenstein seufzte, »ob ich die Botschaft, die ich von Herrn Boehl erhalten habe, vielleicht für mich behalten und zu meinem eigenen Vorteil nutzen sollte – wenn Herr Chaldenbergen ohnehin so gut dasteht … oder wir beide tun uns zusammen? Was meinen Sie?«
»Nein, nein«, wehrte er ab, »sehr freundlich von Ihnen, aber danke. Ich bin mit meinen Geschäften schon genügend unter Druck, ohne mir noch eine kleine Intrige aufhalsen zu müssen. Außerdem«, er überlegte, ob ich seiner nächsten Mitteilung wert war, doch dann siegte seine Menschenfreundlichkeit, »halte ich es für unklug, Herrn Chaldenbergen zu übervorteilen. Wenn er es merkt, geraten Sie in die Klemme. Er hat beste Beziehungen zum Consiglio di Dieci, und das sind die Leute, die in Venedig das Gesetz in der Hand haben.«
Ich fragte mich, ob Ser Genovese, dessen Name gestern auch Barberro dazu gebracht hatte, den Schwanz einzuziehen, einer von ihnen war. Leonardo Falier gehörte zum Rat, das wusste ich. Wer noch?
»Und Ser Genovese …«
»Ja, der stellt natürlich ein Machtzentrum für sich dar. Darum ist Herr Chaldenbergen wahrscheinlich auch so erpicht darauf, ihn zu seinen Freunden zählen zu können. Genua ist die einzige Stadt, die Venedig auf See ernsthaft in Bedrängnis bringen könnte, und die Kaufleute dort sind nicht weniger mächtig als hier. Ihren Botschafter zum Freund zu gewinnen heißt die Ernte schon halb in der Scheuer zu haben.«
Ich verbarg meine Überraschung. Ser Genovese war kein Name, sondern eine Art Ehrentitel. Wie man den Prior eines Klosters nicht beim Namen nannte, sondern nur Bruder Prior, oder wie man nicht einfach Friedrich von Habsburg sagte, wenn man vom Herrn des Heiligen Römischen Reichs sprach, sondern ihn respektvoll Kaiserliche Hoheit nannte: Der Bruder Prior lässt dir ausrichten, du sollst beim Morgengebet nicht immer in der Nase bohren; habt ihr schon gehört, dass Seine Kaiserliche Hoheit einen weiteren Alchimisten zu sich geholt hat; wenn ich es nur schaffen würde, eine Audienz bei Ser Genovese zu erhalten. Ser Genovese war der Herr aus Genua, der Botschafter der einzigen Stadt, die es wagen könnte, Venedig ernsthaft die Stirn zu bieten.
»Das ist witzig«, erklärte ich. »Glauben Sie, dass meine Botschaft mit Genua zu tun haben könnte? Herr Boehl hat mir nämlich gesagt – das heißt, direkt gesagt hat er es nicht, aber Sie wissen ja, wie man Andeutungen so machen kann, dass das Gegenüber meint, man habe es
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