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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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die kleine Leiche sie vergiftet. Oder sie muss es tot auf die Welt bringen, und all der Schmerz war vergebens.«
    »Ich wünsche mir von ganzem Herzen ein Kind. Ich möchte Peter die Familie wiedergeben, die er verloren hat.«
    Ich spürte einen Stich. Jana begann wieder zu weinen, und Fiuzetta murmelte tröstende Worte.
    »Ich möchte auch mit ihm zusammen eine Familie sein! Ich zweifle nicht, dass er mich liebt, und hätte ich jemals gezweifelt, dann hätte mich Florenz eines Besseren belehrt. Aber manchmal sehe ich in seine Augen – wenn wir an einem Haus vorbeikommen, vor dem ein Vater mit seinen Kindern spielt, oder vor einem Paar, das zusieht, wie ihr Sohn die ersten Schritte tut –, und ich sehe, wie verloren er sich dann fühlt und welche Schuld er sich gibt.«
    »Was ist mit seiner früheren Familie geschehen?«
    »Seine Frau ist bei der Geburt des letzten Kindes gestorben, und er erstarrte in Trauer und vernachlässigte seine anderen Kinder, bis sie ihn alle verließen.«
    »Kinder gehen immer, wenn sie groß sind.«
    Wie gelähmt hörte ich der Unterhaltung zu. Ich hatte so angestrengt zu verbergen versucht, welche Gedanken mir manchmal durch den Kopf schossen, wenn ich eine intakte Familie sah, und doch hatte Jana in meinen Augen gelesen wie in einem offenen Buch. Warum hatte sie mir niemals mitgeteilt, was sie wusste?
    – Warum hatte ich ihr niemals mitgeteilt, was ich fühlte?
    »Fiuzetta, dieses Kind in deinem Bauch – das Kind von Fabio Dandolo …«
    »Nur ein Teil ist von ihm. Ein anderer Teil bin ich. Und der größte Teil ist es selbst.«
    »Du liebst es.«
    »Es ist in Liebe gemacht worden. Wenigstens ich war voller Liebe; das ist alles, was zählt.«
    Daraufhin herrschte eine Zeit lang Schweigen zwischen den beiden Frauen.
    »Es hat aber keine Zukunft«, seufzte Fiuzetta nach einer Weile. »Hat nur meine Liebe. Hat nur eine Mama voller Liebe und auch ohne Zukunft.«
    »Ich habe so lange nur für das Geschäft gelebt. Ich dachte, ich müsse meinem Vater den Sohn ersetzen und es allen zeigen, dass ich noch besser war als der beste Sohn. Ich habe mit den gewieftesten Kaufleuten verhandelt und die listigsten davon über den Tisch gezogen. Ich habe meinem Haus zu einem Reichtum verholfen, der noch für die Kinder meiner Kinder ausreichen würde. Und was bleibt, wenn keine Kinder kommen? Für wen habe ich das alles getan? Für den König, oder für ein Kloster?«
    »Für dich selbst.«
    »Ja«, stieß Jana hervor, »das dachte ich auch einmal. Aber jetzt erkenne ich, dass ich bei jedem Handel, bei dem ich Siegerin blieb, bei jeder Finte und bei jedem überragenden Erfolg immer daran dachte, was ich meinen Kindern erzählen würde. Wenn ich ihnen neue Gewänder kaufte, wollte ich sagen: Das Geld dafür stammt aus dem Gewürzhandel mit Ser Mocenigo in Venedig, der mich ausmanövrieren wollte und den ich dann dazu zwang, das Geschäft mit mir zu machen – und denkt euch: Später war Mocenigo sogar der Doge von Venedig. Oder: Der Stoff für diese feinen Wandbehänge kommt aus Ulm, wohin mir euer Vater nachreiste, nachdem wir uns in Landshut kennen lernten, und wo wir beschlossen, zusammen zu bleiben. Wem erzähle ich das jetzt? Für wen habe ich all das geschaffen? Für mein Grab?«
    »Gianna, du bist jung …«
    »Ich bin nicht mehr jung. Ich bin schon Mitte dreißig! Bauersfrauen sterben in diesem Alter. Und du hast doch gehört, was Mariana gesagt hat – du hast es mir doch selbst übersetzt …«
    Ich spürte, wie mir noch kälter wurde. Was hatte die Hebamme gesagt? Und warum hatte mir niemand etwas mitgeteilt? Eine dunkle Ahnung bemächtigte sich meiner. Fiuzetta schwieg.
    »Ich wünsche mir so sehnlichst ein Kind«, flüsterte Jana.
    »Für ihn?«
    »Nein«, sagte Jana kaum hörbar. »Für mich. Für uns. Aber hauptsächlich für das Kind. Ich wünsche mir so sehr, Leben zu schenken und es heranwachsen zu sehen.«
    »Gianna, es gibt doch andere schöne Dinge, andere Träume …«
    »Nicht für mich. Jetzt nicht mehr.«
    Ich schlich die Treppe hinunter, ohne die Kammer betreten zu haben, mit einem galligen Geschmack auf der Zunge. Manfridus hatte die Schankstube wieder verlassen, seine Berechnungen offenbar abgeschlossen. Ich wusste, dass ich mich verhielt wie ein Feigling, aber es ging nicht anders. Moro hockte auf dem Boden der Schankstube vor einer flachen Holzkiste, aus deren geöffnetem Deckel Stroh quoll. Aus dem Inneren der Holzkisten ertönte hektisches Piepen, ein

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