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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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redete auf sie ein; ich kitzelte sie unter ihrem beträchtlichen Doppelkinn; ich drehte einen Zipfel des Lakens in ihrem Bettchen zusammen, so wie ich es Maria hatte tun sehen (das Laken bestand zur einen Hälfte ausschließlich aus solchen Zipfeln, die aussahen wie ungeschlachte Zitzen auf dem weißen Hemd eines Chorknaben) und feuchtete den Zipfel mangels vorhandener Milch mit meinem Speichel an; ich versuchte ihr einen Schluck Wasser einzuflößen; ich dachte an die Amme und begann trotz meiner hilflosen Lage grimmig zu hoffen, dass sie diesmal wirklich in die Kloake gefallen war; ich warf den letzten Rest meiner Würde über Bord und begann, um die Wiege herumzutanzen.
    Als ich zur Hälfte herum war, fiel mein Blick auf Bischof Peter, der weiß Gott wie lange schon in der offenen Tür gestanden und mich beobachtet hatte. Ich erstarrte in einem beinahe vollendeten Moriskenschritt und fühlte, wie ich errötete.
    Mein Brotgeber war für mich der Vater, der mein eigener Vater nie gewesen war, und manchmal glaubte ich, auch er sah sich in dieser Rolle. Selbstverständlich hätten wir es beide niemals zugegeben. Er war ein fülliger Mann mit ständig geröteten Wangen und einem bärbeißigen Auftreten, mit dem er seine zunehmende Verzweiflung darüber kaschierte, dass die Welt sich geändert hatte und die stolzen Bürger Augsburgs seinen Versuchen, die alte Machtbefugnis des Bischofsamtes wiederherzustellen, unermüdlich Steine in den Weg legten. Wer mit ihm zu tun hatte, fürchtete ihn und seine scharfe Zunge oder hegte eine große Abneigung gegen ihn. Ich tat beides nicht. Manchmal entschlüpfte ihm ein Satz, der wie ein Fenster in seine große Seele war, und wenn ich auch nur winzigste Ausschnitte davon gesehen hatte, so genügten sie mir doch, damit ich ihm meine Zuneigung schenkte.
    »Das ist es also, was du dir gewünscht hast«, konstatierte er. Wie üblich hatte er sich selbst Eintritt verschafft und war auf die Suche nach mir gegangen. Er betrachtete unser Haus ebenso als seinen Besitz wie seinen Palast und bewegte sich darin mit der gleichen Ungezwungenheit. Er erwartete in größter Offenheit dasselbe umgekehrt; dass ich trotzdem nie unangemeldet bei ihm erschien oder auf eigene Faust in seinen Räumlichkeiten umhergestreift wäre, hatte mit dem Respekt zu tun, den ich neben meinen freundschaftlichen Gefühlen für ihn empfand. »Du solltest den Fuß wieder auf die Erde setzen, bevor er dir abstirbt.«
    »Sie hat wahrscheinlich Hunger«, sagte ich in Sabinas Geschrei hinein.
    Bischof Peter trat näher und spähte in die Wiege. Seine Gesichtsfarbe und die Sabinas ähnelten einander in bestürzender Weise. Sie holte einen Moment Luft und brüllte dann umso stärker los. Er verzog den Mund und trat einen Schritt zurück.
    »Warum tust du nichts dagegen?«
    »Was soll ich denn tun, Exzellenz? Sie säugen?«
    »Hast du keine Amme?«
    »Natürlich, aber sie ist auf dem Sch … sie ist gerade nicht da!«
    »Du lieber Herr Jesus«, brummte er und bekreuzigte sich. »Selig sind die Armen im Geiste.«
    »Vielleicht haben Exzellenz einen guten Rat«, sagte ich nur halb im Spott. In meiner Verzweiflung hätte ich den Ratschlag eines Maultiers angenommen.
    »Die Exzellenz kannst du dir schenken«, knurrte er. »Ich wollte nur vorbeikommen, um einen Becher Wein mit dir zu trinken. Nichts Dienstliches.« Er machte eine ungeduldige Handbewegung über seine Kleidung: ein dunkler, offener Mantel, unter dem sein schlichter Rock aussah wie ein aus der Mode gekommenes langes Obergewand und nicht wie ein Priesterrock. Das goldene Kreuz, das um seinen Hals hing, war zu dünn, als dass es wirklich aufgefallen wäre, und dass seine kurzen Finger mit Ringen bestückt waren, hätte ihn ebenso gut auch als einen betuchten Kaufmann mit wenig Sinn für modische Kleidung und schlechtem Geschmack bezüglich seines Geschmeides aussehen lassen. Trat er jedoch im offiziellen Bischofsornat auf, schloss die Sonne geblendet die Augen, und Pfauen wandten sich beschämt ab. Ich nickte.
    Er näherte sich wieder der Wiege und betrachtete mein schreiendes Kind. Plötzlich seufzte er, schüttelte die weiten Ärmel seines Mantels zurück, fasste hinein und hob sie heraus. Sabina war ein strahlend weißes Bündel mit einem roten Kopf an seinem oberen Ende. Er legte sie so in seine Armbeuge, wie er an Ostern das neugeborene Lamm zu halten pflegte, mit dem er seine Predigt zu untermalen beliebte, und begann sie zu schaukeln. Sabina brüllte unverzagt

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