Die schwarzen Wasser von San Marco
Ganzen einen Riegel vorzuschieben.« Ich schnaubte. »Außerdem brauche ich Caterina, wenn ich an Fratellino herankommen will.«
Ich fing einen kurzen Blick von Fiuzetta auf und verstummte. Ich hatte das Gefühl, dass dieser Blick sagte: Auch du benutzt sie nur. Ich küsste Jana auf die Stirn, drückte ihr die Hand und versprach ihr, auf mich aufzupassen. Sie sah aus, als zweifele sie daran. Noch mehr allerdings machte sie den Eindruck, als hätte dieses Gespräch sie ausgelaugt wie ein zehnstündiger Fußmarsch durch unwegsames Gelände.
Ich machte mich auf den Weg zu Paolo Calendar, nicht ohne daran zu denken, dass ich kein Wort mit Jana über das gesprochen hatte, was eigentlich unser einziges Anliegen sein sollte: unsere Zukunft als Familie. Voller Grimm stellte ich fest, wie sehr ich darüber erleichtert war.
Und ich fragte mich, wie es sein konnte, dass Fiuzetta Calendars Vornamen kannte, obwohl ich ihn nicht genannt hatte.
10
Ich verirrte mich an einer Kreuzung, an der die gepflasterte salizzada , der ich gefolgt war, nur noch nach links oder rechts weiterging. Ich folgte instinktiv dem breiteren Weg nach links, gelangte zu einer Kirche und schlug mich nach rechts und landete in einer Gassenflucht, von der in beide Richtungen weitere kleine calli wegführten wie das Gerippe eines Fisches. Die Hauptgasse und die Seitengässchen waren wie ausgestorben, bis auf zwei Männer, die sich angeregt unterhielten und nach mir in die Gasse einbogen.
Sie schienen ebenso wie ich unschlüssig zu sein, ob sie hier richtig waren: Sie spähten in eine Seitengasse, blieben stehen und diskutierten, gingen wieder ein paar Schritte und waren dann erneut uneinig über die Richtung, die sie einschlagen sollten.
In einer kleinen calle , an deren Ende ein rio zu sehen war, aber keine Brücke, die über ihn hinwegführte, hockten drei Gassenkinder auf dem Boden. Sie schienen eine Mahlzeit ergattert zu haben und teilten sie nun untereinander. Sie sahen auf, als ich in die Gasse hineinblickte, und ich erkannte, dass es sich um ein kleines Mädchen und zwei Jungen handelte. Das Mädchen konnte noch keine sechs Jahre alt sein. Es riss einem der beiden Knaben ein Stück Gebäck aus der Hand, als er für eine Sekunde von meinem Anblick abgelenkt wurde. Ich ging schnell weiter, aber schon nach wenigen Metern hatten sie mich eingeholt und bettelten um ein Almosen. Ich seufzte und blieb stehen. Sie lauerten in respektvollem Abstand darauf, was ich tun würde; ich kramte drei kleine Münzen aus der Börse und warf sie ihnen zu. Sie steckten sofort die Köpfe zusammen, berieten über den Wert des erhaltenen Almosens und warteten auf mehr.
»Das reicht«, rief ich, halb belustigt. »Ich muss noch was für eure vielen Freunde aufsparen.«
Das Mädchen hob in einer Geste, die mehr unbewusst als einstudiert wirkte, beide Hände und faltete sie vor dem Gesicht. Sein langes Haar war struppiger als das eines Straßenköters, und seine Arme waren von den Handgelenken bis zu den losen Fäden der zerschundenen Ärmellöcher voll schuppiger Haut. Der Ausschlag hatte das Gesicht bis jetzt noch verschont. Ich sah auf die Füße des Mädchens und erkannte unter dem Schmutz dieselben unregelmäßigen Schuppen wie die Borke eines Baumes. Wo sich einzelne Schuppen gelöst hatten oder weggekratzt worden waren, entblößten sich hellrote, wunde Stellen. Ich verzog das Gesicht. Das Mädchen blieb in seiner flehenden Haltung stehen und versuchte ein scheues Lächeln. Ich fasste nochmals in die Börse, doch ich war ungeschickt und verlor ein paar Münzen. Die Kinder waren schneller heran, als die Geldstücke auf den Boden klingeln konnten. Sie waren zwischen meinen Beinen und sprangen um mich herum, und noch bevor ich das Gefühl haben konnte, in eine Meute aufgeregter Jagdhunde geraten zu sein (ich war der Fuchs), huschten sie schon wieder davon. Ich war sicher, dass keines der heruntergefallenen Geldstücke übersehen worden war. Sie starrten mich an, fluchtbereit, sollte ich meinen Verlust wieder einfordern wollen. Ich winkte ihnen zu, sich zu trollen. Sie riefen etwas, das von einem Dank bis zu einem Fluch alles sein konnte, und stoben davon. Ich schüttelte den Kopf und grinste.
Die zwei Männer, die sich zuvor über den Weg uneinig gewesen waren, schlenderten jetzt in meine Richtung, und einer rief zu mir herüber. Sie kamen mir vage bekannt vor, doch woher sollte ich zwei beliebige Venezianer kennen. Ich breitete die Arme aus, um ihnen zu zeigen, dass
Weitere Kostenlose Bücher