Die schwarzen Wasser von San Marco
reicher Kaufmann aus dem Fondaco dei Tedeschi hat sie zu sich genommen. Heinrich Chaldenbergen.«
Sie nickte.
»Warum sagst du nicht, dass sie Glück gehabt hat?«
Fiuzetta senkte den Kopf. Jana drückte meine Hand. Lass es langsam angehen, bedeutete diese Geste. Ich seufzte.
»Fiuzetta, wenn das stimmt, was du mir erzählt hast, kannst du ihr vielleicht helfen«, flüsterte Jana.
Fiuzetta schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. »Niemand kann helfen.«
»Es hat nur noch niemand versucht«, erklärte Jana, und dies entsprach so sehr dem, was auch ich Fiuzetta als Grund für die Suche nach Fratellino angegeben hatte, dass wir beide überrascht zu Jana sahen.
»Chaldenbergen hat ein Haus in Cannareggio gemietet. Er verfügt über so gute Beziehungen zum Rat der Zehn, dass er es nicht einmal nötig hat, im Fondaco zu logieren.«
Fiuzetta ballte die Fäuste.
»Venezia« , sagte sie, »ist der beste Ort der Welt. Viel Glauben, viel Mitgefühl. Die Regierung sieht auf alle Menschen und will Gerechtigkeit. Es gibt keinen Herzog, keinen König, keinen caesar . Nur die Serenissima und die Räte. Es ist viel Licht in Venezia .«
»Viel Licht. Das sagst ausgerechnet du. Ist Fabio Dandolo nicht ein Vertreter seines Stadtsechstels? Ist er ein gerechter Mann?«
»Viel Licht macht auch viel Schatten. Das ist wie mit der Sonne. Wenn sie auf ein großes Haus scheint, glänzt alles und ist hell. Aber da und dort gibt es kleine Schatten, und weil alles so blendet, kann man nicht erkennen, was in den Schatten ist. Man kann sich verstecken in den Schatten, und niemand sieht es.«
Ich fragte mich, worauf sie hinauswollte. Fiuzetta zerknüllte eine Ecke von Janas Laken mit den Händen. Sie kämpfte mit den Worten.
»Es gibt Menschen, die die Schatten suchen und sich dort verbergen. Sie machen ihre Geschäfte in den Schatten und mit der Dunkelheit.« Sie seufzte. »Männer haben zu Hause ihre Frauen. Sie machen Liebe mit ihnen, haben Kinder und Familie. Die Frau wird älter und mag nicht mehr Liebe machen, weil sie Angst hat zu sterben wegen noch einem Kind. Für den Mann ist das aber gar nicht so schlimm, denn er mag auch nicht mehr Liebe machen mit einer alten Frau. Er erinnert sich, dass sie früher jung war. Er erinnert sich an straffe Haut und ein glattes Gesicht und sieht sich um, ob er wieder so etwas findet.«
»Er nimmt sich eine Kurtisane.«
»Viele. Manche nicht. Manche haben eine falsche Erinnerung an früher, und manche sind einfach böse geworden oder waren es immer schon. Sie sehen eine junge Frau und denken: Oh, sie ist nicht jung genug. Sie sehen ein junges Mädchen und denken: das schon eher.«
»Was willst du mir sagen?«, fragte ich, erfüllt von einer dumpfen Vorahnung.
»Es sind nicht alle so«, rief sie hastig. »Es gibt aber manche, die leben im Schatten ihrer eigenen Lust und suchen in der Dunkelheit nach einem Kitzel, der auf keinem anderen Weg mehr kommt. Und es gibt wieder welche, die verkaufen die Dunkelheit.«
Jana legte eine Hand auf Fiuzettas rastlos knetende Finger. Fiuzetta packte zu, als hinge sie an einem Abgrund und Janas Hand wäre das Einzige, was sie vor dem Absturz retten könnte.
»Ein Sklavenhändler will einen guten Preis machen für seine Ware. Er hat einen jungen Mann, der gut arbeiten kann, und verkauft ihn für viel Geld. Er hat eine junge Frau, die schön ist und auf die Kinder aufpassen oder gefickt werden kann, und für die kriegt er auch viel Geld. Er hat ein junges Mädchen, und er kann es für gar nichts verkaufen. Das Mädchen ist zu schwach zum Arbeiten und zu dumm, um auf die Kinder aufzupassen …«
»… und zu jung fürs Bett.«
Sie schüttelte grimmig den Kopf. »Zu dumm fürs Bett. Er muss die Ware …« – sie dachte über das fehlende Wort nach – »verfeinern? Er geht zu einem Wirt in einem Winkelhaus und sagt: Gib der Kleinen eine Ausbildung, sie muss so gut sein im Bett wie eine Nutte. Ich gebe dir dafür Geld.«
Ich sah sie entsetzt an. »Du meinst, die Sklavenhändler bringen ihre jungen Mädchen in ein Bordell und lassen sie dort in den Liebeskünsten ausbilden? Und zahlen dafür?«
»Es dauert ein paar Wochen. Manche Mädchen wollen nicht, verstehst du? Man muss sie hungern lassen. Man kann sie nicht schlagen, denn es schadet der feinen Haut. Die meisten wollen nach ein paar Tagen Hunger. Der Sklavenhändler fragt dann seine Freunde und fragt bei den Nutten herum und ihren Wirten: Hast du einen Kunden mit komischen
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