Die schwarzen Wasser von San Marco
Sie zu Ihrer Herberge bringen«, erklärte er eisig. »Ich möchte nicht, dass Sie einen Schwächeanfall erleiden und in einen Kanal fallen.«
»Haben Sie Angst, ich könnte das saubere Wasser dieser Stadt der Engel verschmutzen?«
»Nein«, sagte er ruhig, »ich habe nur Angst, dass Sie ertrinken.«
»Calendar, zum Teufel noch mal, wollen Sie wissen, wer das Mädchen ist? Sie ist die Schwester von Fratellino, dem einen der beiden Gassenjungen, die Pegnos Tod bezeugt haben. Er lebt noch. Sein Freund wurde umgebracht. Erzählen Sie mir nicht, Sie halten das für einen dummen Zufall! Die Schwester wird uns den Kontakt ermöglichen.«
»Haben Sie sie etwa schon danach gefragt?«
»Nein, aber die Freunde Fratellinos haben mir diese Nachricht von ihm überbracht.«
»Ihre Geschichte wird immer unglaubwürdiger.« Er wandte sich ab und schritt zum Ausgang der Kammer.
»Wenn alles Unsinn ist, was ich erzähle, warum hat man mir dann zwei Totschläger hinterhergesandt, um mir die Kehle durchzuschneiden?«
»Kümmern Sie sich um Ihre Angelegenheiten. Das ist meine letzte Warnung.«
»Ich denke an die zwei Kerle, die im Elendsviertel liegen, und habe das Gefühl, das alles gehört zu meinen Angelegenheiten!«, brauste ich auf.
»Es gibt Gesetze, und es gibt die Polizei. Sie können diesen beiden alles überlassen.«
»Weshalb man ausgerechnet Sie ausgewählt hat, einen zu Unrecht versklavten Jungen zu befreien, ist mir schleierhaft. Was machen Sie, wenn Sie ihn finden? Überprüfen, ob der Inhalt der Kaufurkunde den Gepflogenheiten entspricht?«
Er antwortete nicht und drehte sich nicht um, als er durch den offenen Durchgang in den Flur hinaustrat. Nicht einmal, als ich ihm hinterher rief: »Dann hole ich das Mädchen eben selbst raus. Ich habe ja genug Erfahrung damit, am falschen Ort aufzutauchen.«
11
Jana hatte wieder geschlafen, als ich endlich in die Herberge zurückgekehrt war, und so blieb ihr mein Anblick glücklicherweise erspart. Moro und Fiuzetta hatten sich um den Schnitt gekümmert; Fiuzetta hatte ihn ausgewaschen und eine Salbe daraufgepackt, die sie in einem Tiegel mit sich führte. Moro hatte gebrummt, dass man sich den Schnitt spätestens morgen ansehen müsse, um festzustellen, ob er nicht doch genäht werden sollte. Fiuzetta hatte nur stumm die Wunde mit Stoffstreifen umwickelt. Schließlich hatte ich ihnen das Versprechen abgenommen, zu niemandem etwas von der Verletzung zu sagen. Moro hatte mit den Schultern gezuckt, Fiuzetta stumm genickt. Sie hatte den Eindruck gemacht, als bereue sie es zutiefst, mit mir gesprochen zu haben.
Jetzt stand ich vor dem Palast, den Chaldenbergen gemietet hatte, einem terrakottafarbenen Gebäude, dessen Ursprung auf einen Festungsbau zurückging und dies auch nicht verleugnen konnte. An einer Seite ragte eine Art Erker heraus, der früher der Turm gewesen war und durch Anbauten seine Funktion verloren hatte; die Fenster waren von weißem Stuckwerk umrahmt, aber klein, und die Eingangstür war ebenerdig angelegt wie bei einem Lager, wuchtig und mit Eisennägeln beschlagen. Im ersten Stock hatte jemand versucht, mit einer spitzbogigen Loggia den strengen Eindruck zu mildern, aber die Bögen waren plump und das Maßwerk zu einfach. Die Häuser in der unmittelbaren Umgebung waren von ähnlicher Bauart, wenn auch zum Teil die Versuche, etwas Eleganz in die funktionale Schlichtheit zu bringen, etwas mehr geglückt waren. Die gesamte Gegend wirkte wie ein Viertel für hart arbeitende Beamte und Händler, die wohlhabend genug waren, an die Verschönerung ihrer Häuser zu denken, aber noch nicht so reich, als dass sie dem Stadtadel folgen und an den Canàl Grande hätten umsiedeln können. Ihre Heime waren im Vergleich zu den Bauten in den reicheren Vierteln so niedrig, dass der Sonnenschein geradezu grell auf die fondamente entlang der kleinen Kanäle fiel; die Kanäle selbst wimmelten von am Kai vertäuten Booten aller Art, zwischen denen die barcaiuli ihre Gefährte mühsam hindurchmanövrierten. An den Ecken des Nachbargebäudes standen orientalisch anmutende Gestalten auf hohen Podesten, ihr weißer Marmor altersfleckig, die eisernen Nasen schwarz verfärbt.
Neben der Eingangstür zu Chaldenbergens Haus war eine weitere, ebenso abweisend aussehende Tür in die Mauer eingelassen. Als ich näher kam, sah ich, dass beide einen Spalt offen standen. Ein erstaunlich breiter Fußweg trennte das Haus vom rio , der davor verlief. Die kleine Treppe von der fondamenta zum
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