Die schwarzen Wasser von San Marco
abreisen?«
»Es ist bereits alles verladen. Das meiste geht per Schiff nach Lübeck. Die Reise dauert zwar länger als über Land, aber bei der Menge an Waren, Möbeln und allem – das können Sie sich ja denken.« Er zeigte plötzlich mit dem Finger auf mich. »Ich hab es Ihnen selbst gesagt, nicht wahr? Als wir uns das erste Mal trafen.«
Ich zuckte mit den Schultern. Er strahlte.
»Wenn Sie sich früher zu erkennen gegeben hätten, dann hätte ich Sie doch höchstpersönlich zu dieser Festlichkeit eingeladen.«
»Ich will mich nicht aufdrängen …«
»Na, jetzt hören Sie aber!« Er nahm mich vertraulich am Arm und begann, mich zum Eingang seines Saals zu ziehen. Es sah aus, als würde ein Kind einen Erwachsenen zum Platz seines Lieblingsspielzeugs zerren wollen. Seine Berührung war mir so unangenehm, als käme sie von einem Aussätzigen. Ich steigerte mich in einen Zorn hinein, der mir selbst gefährlich werden konnte. »Darf man vielleicht auch noch auf den Besuch Ihres … Herrn und Meisters hoffen?«
»Der Botschafter bedauert«, sagte ich kühl.
Chaldenbergen wurde tatsächlich rot. »Selbstverständlich«, murmelte er betroffen. »Er hat doch Sie gebeten, an seiner Stelle meiner Einladung Folge zu leisten. Ich wollte Sie nicht kränken.«
Ich griff seine Bemerkung auf und bemühte mich, mir nichts von meiner Überraschung anmerken zu lassen. »Wäre es ihm möglich gewesen, wäre er persönlich erschienen. In den Kreisen, in denen Ser Genovese sich bewegt, wird viel von Ihnen gesprochen.«
»Ehrlich? Na ja, ich habe auch schon viel Geld investiert – und nur die beste Ware erstanden, wo immer ich verhandelt habe. Ich bin sicher, selbst Ihr Herr hätte Gefallen daran gefunden, trotz der Konsequenz, die man ihm allgemein bescheinigt.« Er lachte aufgekratzt.
»Sie haben also gute Geschäfte in Venedig gemacht?«
»Meine Truhen sind voll, das kann ich bestätigen.«
»Und nehmen ein gutes Andenken mit nach Hause.«
»Nicht nur das, nicht nur das.« Chaldenbergen kicherte aufgeregt. Ich unterdrückte den Drang, den kleinen Mann mit einem Hieb auf den Kopf noch ein wenig mehr zusammenzustauchen.
»Ihre Schiffsladung und …?«, fragte ich.
»Na ja, unwichtig«, winkte er ab. »Kaum etwas, das Sie oder Ihren Herrn interessieren würde, in Ihrer Stellung.«
»Sie glauben gar nicht, wofür Ser Genovese sich interessiert.«
»Ich bin nur ein kleiner Kaufmann mit bescheidenen Vorstellungen.«
Ja, dachte ich wütend, nur ein bisschen Gewalt und Misshandlung gegen die wenigen, die noch kleiner sind als du. »Vielleicht ließe sich sogar noch ein kurzes Treffen arrangieren, bevor Sie morgen abreisen. Ich bin nicht umsonst beauftragt worden, bei Ihnen vorzusprechen. Ser Genovese hat nur Gutes über Sie gehört.«
»Sie schmeicheln mir. Ein so einflussreicher Mann wie Ihr Herr …!« Er schüttelte den Kopf. Dann erwischte er mich auf dem falschen Fuß. »Mir ist aufgefallen, dass selbst Sie ihn Ser Genovese nennen, als hätte er keinen wirklichen Namen.«
»Das ist ein Ausdruck meiner Bewunderung«, sagte ich und begann leise zu schwitzen. »Man nennt ja den Dogen auch kaum bei seinem bürgerlichen Namen.«
»Oder den Papst!« Er kicherte und stieß mich in die Seite. Ich hätte den Stoß gern zurückgegeben – mit einer Kraft, die ihn die Treppe hinuntergeschleudert hätte. »Der sucht sich sogar einen ganz neuen Namen aus. Na, da sind wir – willkommen bei meiner bescheidenen Abschiedsfeier.«
Chaldenbergens großer Saal war bunt geschmückt: Tücher hingen an den Wänden und verdeckten die kahlen Stellen, von denen er die Wandteppiche hatte abnehmen und für seine Abreise verpacken lassen. Die Ordnung seiner Bänke und Tische hatte etwas Theatralisches: Auf einem erhöhten Podest, vor der jenseitigen Schmalseite des Saals und parallel zu ihr, befand sich die Tafel des Gastgebers und der Ehrengäste. Die Sitzgelegenheiten der restlichen Gäste standen in lockeren Reihen davor, der Längsseite des Saals nach angeordnet. Ich schluckte die Bemerkung hinunter, dass Chaldenbergen offenbar zu viel Tristan und Isolde gelesen hatte – seine Sitzordnung entsprach dem antiquierten Ideal, das außer ihm nur noch der auf Äußerlichkeiten erpichte Adel verwendete und das schon damals, zu den Zeiten der Staufer auf dem Kaiserthron, hauptsächlich dazu verwendet worden war, diejenigen zu demütigen, die man hatte einladen müssen, aber nicht leiden konnte. Die Plätze, die am weitesten von der
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