Die schwarzen Wasser von San Marco
Ehrentafel entfernt lagen, waren nicht nur demonstrativ am weitesten von der Gnade des Hausherrn entfernt, sondern hatten auch die Tür zum zugigen Innenhof zunächst und das zweifelhafte Vergnügen, die lange Promenade der hereingetragenen Speisen zwar als Erste erblicken, aber als Letzte kosten zu dürfen.
Hätte es noch weiterer Indizien bedurft, dass Chaldenbergen einen längst verblassten Glanz von ritterlichen Banketten einzufangen versucht hatte, hätte ich nur den mit frischem Heu und Kräutern bestreuten Fußboden oder die kleine Gruppe Musikanten in einer Ecke des Saals betrachten müssen. Die Bodenstreu war eine Beleidigung des kunstvoll gelegten Parketts, und wer Sinn und Verstand hatte, verzichtete auf die jaulende Darbietung von Musikern, die von ihrem Metier so wenig verstanden, als habe man sie von der Straße weg gemietet. Chaldenbergen sah sich um mit der Miene eines Mannes, der einem anderen die auserlesensten Stücke seiner Schatzkammer zeigt.
Die Sitzgelegenheiten mochten – die Ehrentafel mitgerechnet – für zwanzig bis dreißig Personen Platz bieten. Die meisten der Gäste waren bereits eingetroffen und standen in kleinen Grüppchen zusammen. Fast alle wandten sich bei unserem Eintreten um und starrten uns an. Chaldenbergen blähte sich auf und strahlte in die Runde.
»Denken Sie daran, dass mein Herr die Diskretion schätzt«, flüsterte ich ihm zu. Er lächelte mich enttäuscht an, verzichtete aber dann darauf, mich pompös vorzustellen. Ein Bediensteter hastete auf uns zu, empfing eine halblaute Anweisung Chaldenbergens und brachte mich zu einem Platz an der Ehrentafel. Ich – oder besser Ser Genovese – hatte einen besonderen Stein im Brett bei Heinrich Chaldenbergen. Chaldenbergen eilte zu zwei jungen Männern, die in einer entfernten Ecke auf einer Truhe saßen und das Treiben im Saal gelangweilt musterten. Ab und zu warf der eine den Musikanten einen verzweifelten Blick zu, wenn sie der Laute oder der Drehleier einen besonders schrägen Ton entlockten. Chaldenbergen redete kurz auf sie ein, und ihre Blicke richteten sich auf mich. Ich wandte mich ab und tat so, als würde ich die Stoffbahnen an den Wänden mustern. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass sie mit den Schultern zuckten und sitzen blieben. Sie waren zu jung, um unter den Geladenen zu sein, und dass sie nicht zu den Musikanten gehörten, war aus ihrem Verhalten ersichtlich. Vielleicht waren sie Komödianten, wenngleich ihre Erscheinung dafür zu gepflegt erschien. Der eine der beiden steckte in strahlend weißen Gewändern mit schimmernden Verzierungen aus Goldbrokat: ein steifes weißes Wams, das von der Hüfte weggewölbt war wie die untere Brünne eines Harnischs, enge Kniehosen, darunter eine lange Bruoche mit angenähten Füßen, die in Sandalen aus weißem Leder mit Goldschnallen steckten. Er sah aus wie ein vollkommen übergeschnappter römischer Imperator. Die beiden unterhielten sich miteinander, als Chaldenbergen sie verließ, und warfen mir noch ein paar verstohlene Blicke zu, die ich ignorierte.
Einige der anderen Gäste hatten meine bevorzugte Behandlung beobachtet und schlichen heran, kaum dass Chaldenbergens Lakai mich allein gelassen hatte. Der Mutigste von ihnen stellte sich mir schließlich mit einem venezianischen Namen vor, den ich sofort wieder vergaß, und bahnte damit einigen weiteren Männern den Weg, sich anzubiedern. Es handelte sich hauptsächlich um Einheimische, aber auch ein paar deutsch klingende Namen waren darunter, deren Träger sich meistens durch einen so schweren Akzent in ihrer venezianisch gemurmelten Begrüßung verrieten, dass es sogar mir auffiel. Mein stiller Zorn half mir, eine so arrogante Vorstellung zu geben, dass danach sofort über mich geflüstert wurde. Mein Verhalten im Verbund mit Chaldenbergens Bevorzugung schien allen zu suggerieren, dass sich ein einflussreicher Mann unter sie gemischt hatte. Ich wäre lieber unauffällig geblieben, aber dazu hatte ich die falsche Taktik gewählt. Ich seufzte ärgerlich und winkte Chaldenbergen zu, der von der anderen Seite des Saales herüberspähte, ob alles zu meiner Zufriedenheit sei.
Eine Unkorrektheit war Chaldenbergen bei seiner Feierlichkeit allerdings unterlaufen: Es waren keinerlei Frauen zu sehen. Der Saal summte vor Gesprächen und Gelächter, aber es handelte sich ausnahmslos um Männerstimmen. Ich hatte Manfridus’ Aussage im Ohr, dass die Frauen der venezianischen Patrizier die Öffentlichkeit scheuten, doch ich
Weitere Kostenlose Bücher