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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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meinem Unterarm hervorquoll. Er brannte wie Feuer. Er versuchte auf die Knie zu kommen und davonzukriechen. Ich sah zu seinem Kumpan hinüber, aber dieser war immer noch besinnungslos. Von der Platzwunde an seinem Hinterkopf rann ein dünnes Blutrinnsal in seinen Nacken. Ich spürte, wie die Druckstelle zwischen meinen Rippen zu pochen begann, und plötzlich wurden meine Knie weich. Ich taumelte zur Hauswand hinüber und hielt mich daran fest. Die Kinder starrten von mir zu den beiden Männern und zurück. Sie schwiegen.
    »Ihr müsst Hilfe holen«, krächzte ich. »Aiuto.«
    Sie verstanden es falsch. Sie dachten, ich bräuchte Hilfe. Sie erinnerten sich daran, dass das Geld aus meiner Börse gekommen war, und vielleicht sagte ihnen auch ein Hauch von Gerechtigkeitsgefühl, dass ich derjenige gewesen war, der das Opfer dargestellt hatte. Einer der Jungen stieß einen rauen Schrei aus, und dann sprangen sie alle zu dem Davonkriechenden hinüber und ließen einen Hagel von Fußtritten auf ihn niederprasseln. Sie tanzten um ihn herum wie die Heiden um das Goldene Kalb, dass der Gassenstaub nur so aufwirbelte.
    »Nein!«, schrie ich entsetzt. »Hört sofort auf.«
    Sie ließen erst von ihm ab, als er bewegungslos am Boden lag. Sie lächelten befriedigt und wichen zurück. Ich weiß nicht, was sie in dem Mann sahen, während sie auf ihn eintraten: die Sklaventreiber, die beim Katzenspiel das Geld verdienten; die Gewissenlosen, die sich in ihr Viertel schlichen, um für billige Münze ihre Mütter, Schwestern und Freundinnen zu schänden; die kaltherzigen Priester, Kaufherren und Patrizier, die ihnen statt eines Almosens einen Fußtritt versetzten. Sie grinsten mich an, warfen misstrauische Blicke zu dem Besinnungslosen herüber, ob er sich etwa bewegte und nach der gleichen Behandlung wie sein Kumpan verlangte, dann wirbelten sie auf ihren bloßen Fersen herum und flohen.
    Ich stieß mich ächzend von der Hausmauer ab und torkelte zu meiner Börse hinüber. Sie war so leer wie ein ausgekochter Markknochen. Ich rollte sie zusammen und stopfte sie unter meinen Gürtel. Mein Körper fühlte sich an, als hätte ich die Tritte der Jungen erhalten. Die beiden Dolche waren verschwunden; die Kinder hatten sie ebenfalls an sich genommen. Das Obergewand des zu Boden Getretenen war zerrissen: Sie hatten ihn nach Wertsachen gefilzt, ohne dass ich es bemerkt hatte. Ich ging neben ihm in die Hocke und betrachtete ihn. Er war über und über mit lehmfarbenem Staub bedeckt, sein Gesicht sah aus wie gepudert. Aus seiner Messerwunde rann langsam das Blut, unmäßig rot auf dem Staub. Doch es pulsierte nicht mehr, er schien keinen Herzschlag mehr zu haben. Ich brachte es nicht über mich, ihn am Hals zu berühren, um mich zu vergewissern.
    Alles tat mir weh, als ich mich mühsam aufrichtete. Vergebens versuchte ich, jetzt noch so etwas wie Befriedigung zu empfinden. Er und sein Kumpan hatten mir ans Leder gewollt, doch das Glück war mir zu Hilfe gekommen und hatte den Spieß umgedreht. Wie sie jetzt so regungslos dalagen, empfand ich plötzlich Mitleid. Die Art, wie die Gassenkinder sich auf den Verwundeten gestürzt hatten, erinnerte an eine Meute Ratten, die über einen verletzten Hund herfallen. Irgendwie meinte ich, ich hätte es verhindern müssen. Ich hinkte zu dem Mann an der Hausmauer hinüber und fesselte seine Hände mit einem Stoffstreifen, den ich aus seinem Hemd riss, und seine Füße mit seinem eigenen Gürtel. Er begann zu stöhnen, als ich ihn in ein leer stehendes Haus schleifte, blieb aber besinnungslos. Dann straffte ich mich und marschierte davon.
    Im Dogenpalast starrte man mich an wie einen vom Tode Auferstandenen. Ich fühlte mich dementsprechend. In den Gassen hatten mir die Menschen ebenso entgeistert nachgeblickt. Ich war langsam gegangen – nicht aus dem Gefühl der Sicherheit heraus, denn mir war klar, dass keine weiteren Totschläger auf mich warteten, solange der Auftraggeber meiner bisherigen Verfolger nicht erfahren hatte, wie es ihnen ergangen war, sondern weil ich mich nicht schneller bewegen konnte. Mir war übel von der überstandenen Angst, aber mehr noch von der Gewissheit, dass ein Mensch durch meine Hand gestorben war.
    Ich wiederholte meine Frage nach Paolo Calendar so lange, bis mich jemand in den ersten Stock des Gebäudes wies und etwas von avogardi murmelte – Staatsanwälte. Ein Wachsoldat nahm sich meiner an und trottete hinter mir her, vermutlich weniger zu meinem Schutz als zu dem der

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