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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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kam mir der Gedanke, dass die Masken nur dazu dienen mochten, dass alle Anwesenden guten Herzens schwören konnten, sie hätten die beiden niemals gesehen. Chaldenbergen bediente sie mit ausgesuchter Höflichkeit, und sie schienen es nicht als außergewöhnlich zu empfinden, dass der Hausherr sich selbst um sie bemühte.
    Es dauerte eine lange Weile, während derer sich der Himmel, der durch die plumpen Spitzbögen der Loggia zu sehen war, verdunkelte, bevor das Essen sich dem Ende zuneigte. Die ersten wohligen Rülpser waren schon lange zuvor zu hören gewesen, und der eine oder andere war bereits hinausmarschiert, um nach wenigen Minuten wiederzukommen, etwas verschwitzt und blasser im Gesicht als zuvor, aber wieder bereit, neues Essen in seinen Magen zu schaufeln. Brennende Fackeln wurden in die Halterungen entlang der Wände des Saals gesteckt und verbreiteten eine diffuse Helligkeit. Einer der Bediensteten, der eine Platte voller Schmalztöpfe hinaustrug, stolperte und verlor einen Teil seiner Fracht, und einer der Gäste, der eben von einem Erleichterungsgang auf den Abtritt wieder hereinkam, rutschte auf dem plötzlich fettig gewordenen Boden aus und legte sich in einer Explosion aus bunten Zaddeln, aufgewirbeltem Heu und erfreutem Gelächter der Zuschauer auf den Rücken. Er nahm es mit Humor, bis er den großen Fettfleck auf seinem Wams sah und sich bemüßigt fühlte, dem gestolperten Lakaien einen wütenden Fußtritt zu versetzen. Die anderen Dienstboten schwärmten mit Platten aus Konfekt herein, um die wunden Mägen zu beruhigen, und ich bemerkte auf einmal, dass da und dort unter den Sitzenden Lücken aufgetaucht waren. Der eine oder andere schien nicht mehr vom Abort zurückgekommen zu sein. Die auffälligste Lücke gab es am Ehrentisch: Heinrich Chaldenbergen fehlte.
    Die Dienstboten begannen, die Tischplatten abzunehmen und die Böcke zur Seite zu räumen. Die Gäste machten ihnen bereitwillig Platz. Die Bänke wurden an die Wände geschoben, einer der Tische in einer Ecke wieder aufgestellt und das Konfekt dort abgeladen. Stapel von bunten Sitzkissen wurden hereingeschleppt. Ich sah dem Treiben erstaunt zu. Während fast alle anderen mittlerweile aufgestanden waren und sich die Beine vertraten oder aus den Fensteröffnungen hinausspähten, war ich als Einziger am Ehrentisch sitzen geblieben. Um mich herum hatte sich eine deutliche Leere gebildet. Ich legte keinen Wert darauf, mit Chaldenbergens Gästen zu sprechen, aber ich wusste, dass ich in der Zwischenzeit vom Ehrengast zu einer suspekten Person herabgesunken war und dass die Zeit gegen mich arbeitete.
    Ich war erleichtert, als die Männer im Saal sich plötzlich zu einer der Türen umwandten und zu klatschen begannen: Ihr Applaus galt dem Eintritt der Frauen. Ich war bestürzt darüber, wie wenig Geschmack sie auf ihre Kleidung und ihr Aussehen verwendet hatten: Bunte rote und gelbe Schleifen und Bänder herrschten vor, die blonden Haare waren zu auffällig, um nicht Perücken zu sein, und ihre Gesichter waren so stark geschminkt, dass sie wie die Masken von Komödianten wirkten. Ich hielt nach Caterina Ausschau, konnte sie aber nicht entdecken. Die Männer setzten sich auf die Kissen, sodass in der Mitte des Saals ein freier Platz blieb. Die Frauen schritten herein.
    Ich war wie so oft viel zu naiv. Erst als die Musikanten eine unbeholfene Tanzmelodie begannen und die Frauen sich zu einem Reigen zusammenstellten, die Gesichter nach außen gewandt, wurde mir klar, dass sie nicht die Gattinnen der Eingeladenen waren, sondern bezahlte Tänzerinnen. Die Kissen waren nicht deshalb verteilt worden, weil sich auf ihnen der Tanzdarbietung besser folgen ließ als auf den Bänken, sondern weil sie nachher als Unterlage dienen würden. Chaldenbergen hatte doch ein symposion geplant. Es gab Speisen zum Wein, was falsch war, aber für die Zerstreuung durch die Dirnen hatte er gesorgt.
    Die beiden maskierten Männer hatten es sich auf den Kissen bequem gemacht und betrachteten grinsend den Tanz; einige der anderen Gäste aber fehlten nach wie vor, ebenso wie Chaldenbergen. Ich sah zu den jungen Burschen hinüber, die ihren Platz in der Ecke des Saals verlassen und ihr Essen am hinteren Ende der Tafeln eingenommen hatten. Sie waren noch da; der eine erwiderte meinen Blick, stand plötzlich auf, ließ seinen Freund mit der weißen Kleidung sitzen und kam zu meinem Missvergnügen auf mich zugeschlendert. Er gönnte den Tänzerinnen, die sich mit gezierten

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