Die schwarzen Wasser von San Marco
deutliche Gefühl, ihn nicht überzeugt zu haben. Mir ging durch den Kopf, dass ich Moro beauftragt hatte, Calendar zu alarmieren, sollte ich morgen Früh nicht wieder in der Herberge sein. Chaldenbergen wirkte nichts weniger als furchterregend, aber vielleicht hätte ich hinzufügen sollen, dass meine Aussage auch galt, wenn ich nicht in einem Stück zurückkehrte. Ich beobachtete ihn verstohlen, während er von Gespräch zu Gespräch driftete. Ich begann zu argwöhnen, dass danach mehr Augen als zuvor zu mir herüberblickten.
Der Musikant mit der Drehleier stellte sein jaulendes Instrument zu Boden. Die Dankbarkeit des Publikums währte nicht lange; er nahm stattdessen ein paar metallisch glänzende Rohre vom Boden auf und steckte sie zu einer langen Trompete zusammen, die in einer verbeulten Stürze endete. Er erhob sich, blähte seinen Brustkasten und blies dann in sein Instrument. Die meisten hielten sich die Ohren zu. So musste es für die römischen Soldaten geklungen haben, als Hannibal mit seinen Kriegselefanten über sie herfiel. Chaldenbergen lachte, klatschte in die Hände und rief: »Das Mahl beginnt.«
12
Der kleine Kaufmann ließ sich nicht lumpen. Chaldenbergens Bedienstete schleppten in rascher Folge dampfende Platten herein, beladen mit zahlreichen Köstlichkeiten: zwei riesige gebratene Schweine, die sich in ihren Dekorationen aus Äpfeln, Birnen, Erbsen und Hirsebrei erhoben wie Schiffe aus unruhigen Wogen; ein Diorama aus Hähnchen, deren braun gerösteten Körpern man die Köpfe wieder aufgesetzt und die Schwanzfedern eingesteckt hatte und die man sich gegeneinander verneigen ließ wie Bischöfe, die sich bei einer Kongregation treffen; ein Pfau in vollem Federschmuck; zwei Gänse, deren aufgeschnittene Bäuche von Füllteig überquollen; eine Pyramide aus Eiern, deren Schalen in den Farben der Wandbehänge gefärbt waren; zwei Platten mit Fischen und den gebackenen Meeresfrüchten, die ich bereits auf dem Markt genossen hatte; und eine endlose Reihe von Tellern mit Speckseiten, Käse und Zwiebeln sowie Töpfe von Schmalz, heißen Getreidebreien und Gewürzen. Es hätten hundert Menschen davon satt werden können und noch einiges übrig gelassen.
Das Essen verlief in ungewöhnlicher Stille, wenn man den Katzenjammer der Musikanten vernachlässigte. Die Männer aßen schnell, viel und konzentriert, ohne sich um etwas anderes zu kümmern, als dass die Brotscheiben auf den Plätzen vor ihnen voll gepackt und ihre Becher stets gefüllt waren. Es fehlte das fröhliche Gezwitscher der Frauen. Ich saß zwei Plätze von Heinrich Chaldenbergen entfernt an seiner Ehrentafel, und obwohl er es an Aufmerksamkeit mir gegenüber nicht mangeln ließ, bemerkte ich, dass sich in sein Verhalten eine gewisse Reserviertheit eingeschlichen hatte. Er hatte Verdacht geschöpft; auch meine Tischnachbarn hatten jede Unterhaltungsversuche mit mir eingestellt und warfen mir verstohlene Blicke zu in der Annahme, ich bemerke es nicht. Ich sehnte das Ende des Essens herbei, nach dem sich die Versammlung sicherlich auflösen und in die Räume des Hauses verteilen würde, sodass ich nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit stand; noch mehr jedoch, weil danach sicherlich die Frauen erscheinen und ich die Gelegenheit finden würde, Caterina anzusprechen.
Ich aß wenig und gab die Speisen lieber weiter, als mir selbst aufzupacken. Chaldenbergens Köche hatten gute Arbeit geleistet, aber mein Appetit war nicht sonderlich ausgeprägt. Noch jemand außer mir pickte in den angebotenen Platten mehr herum, als dass er sich davon bediente: der Gastgeber. Heinrich Chaldenbergen saß zwischen zwei Männern, deren Kleidung auffällig schlichter war als die der anderen Gäste, wenn auch nicht unbedingt billiger. Sie trugen gedeckte Farben, aber die Stoffe schimmerten und fielen elegant und waren von feinster Webart. Das Auffälligste an ihnen waren jedoch ihre Gesichtsmasken, die aus steifem schwarzem Stoff waren und von ihren Stirnen bis auf ihre Oberlippen reichten. Niemand nahm Anstoß daran, am wenigsten die beiden Männer selbst, die sich so ungezwungen bewegten, als würden sie nicht überdeutlich zeigen, dass sie nicht erkannt zu werden wünschten. Vielleicht wusste ohnehin jeder, wer sie waren, und die beiden wussten es auch und genügten nur ihrem persönlichen Ritual. Sie erinnerten mich in Haltung und knapper Gestik an Leonardo Falier, den Zehnerrat, ohne dass sie dessen erdrückende physische Präsenz besaßen. Verspätet
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