Die schwarzen Wasser von San Marco
Schritten in ihrem Reigen bewegten, keinen Blick.
Als er neben mir stand, deutete er auf den freien Platz neben mir und zog fragend die Augenbrauen hoch. Ich nickte und bat ihn mit einer Handbewegung, sich zu setzen. Er musterte mich von der Seite und bemerkte mein Desinteresse an der Tanzdarbietung.
»Fühlen Sie sich wohl?«, fragte er höflich und mit starkem Akzent.
Vielleicht hatte Chaldenbergen ihn gebeten, mich auszuhorchen. Ich war mir nicht sicher, welche Stellung er und sein Freund hier innehatten. Sie sahen nicht aus wie die Leibwächter des kleinen Kaufmanns. Mein Gesprächspartner roch nach Parfüm, sein Haar war aufwändig frisiert und seine Wangen gepudert.
»Das Essen war köstlich.«
»Und der Tanz?«
Ich zuckte mit den Schultern. Er lächelte mich an.
»Sie sind der Mann von ambasciatore , richtig?«
»Das hat sich wohl schon herumgesprochen.«
»Ist er ein guter Herr?«
»Ich nehme es an.«
Er lachte herzlich über meine Antwort. »Wissen Sie es nicht?«
Ich zwang mich zu einer höflichen Antwort. Wer immer er war, er bemühte sich, freundlich zu mir sein. »Ich habe keinen Vergleich.«
»Ah so.« Er dachte nach. »Wollen Sie nicht unten sitzen, bei le donne ?«
» Le donne tanzen ja noch.«
»Nicht mehr so lange.«
»Nein, danke«, wehrte ich ab. »Kein Interesse.«
Er strahlte mich wieder an. Ich begann mich zu fragen, was ihn an meiner Gegenwart so besonders erfreute.
»Gehören Sie zu Chaldenbergens Haushalt?«
»Ich? Nein!« Er schüttelte den Kopf. »Ich bin Gast, wie alle anderen.«
»Schade, ich hatte gehofft, Sie könnten mir das Haus zeigen.«
Er lehnte sich zurück und musterte mich. Das Lächeln verließ sein Gesicht nicht, aber in seine Augen trat jetzt eine Spur erhöhter Aufmerksamkeit. Oder war es Berechnung?
»Was wollen Sie sehen?«
»Vielleicht die anderen Räume? Es ist ja ein großes Gebäude.«
– Vielleicht die Kammer der baldigen Adoptivtocher des Hausherrn?
Er spitzte die Lippen. »Das lässt sich machen, da bin ich sicher«, erklärte er. Er zögerte einen Moment, dann legte er mir eine Hand aufs Knie. »Wir können aber auch hier bleiben, ist kein Problem.« Er blickte mir tief in die Augen.
Ich starrte die Hand auf meinem Knie an und fragte mich, wo ich die ganze Zeit über meinen Verstand gelassen hatte. Wenn man die Mädchen gefragt hätte, die sich in der Mitte des Saals immer schneller umeinander drehten und die ersten Bänder aus ihren Haaren und Kleidern flattern ließen, hätten sie sich sicher ebenfalls als Gäste des Hausherrn bezeichnet. Der junge Mann mir gegenüber war eine männliche Dirne, und dass er sich so zielgerichtet meine Person ausgesucht hatte, sagte mir, dass er und sein Kamerad für den genuesischen Botschafter bestellt worden waren – Chaldenbergen hatte wirklich gehofft, Ser Genovese werde seiner Einladung Folge leisten. Und er wusste über seine Vorlieben glänzend Bescheid. Er wusste vermutlich über alles, was den Genueser betraf, besser Bescheid als ich. Jedes andere Inkognito wäre erfolgreicher gewesen als das, das ich in meiner ach so großen Schlauheit gewählt hatte. Ich hätte als ich selbst kommen sollen, der flüchtige Bekannte aus dem Waisenhaus, und wäre von Chaldenbergen in seinem Bemühen, mit seinem Einfluss aufzuschneiden, trotzdem zu Tisch gebeten worden. Ich sah dem jungen Mann in die Augen und sagte höflich: »Ich bin nur der Beauftragte des Botschafters; rein geschäftlich. Wir haben sonst nichts gemeinsam.«
Seine Augen verengten sich ein wenig, aber er schien nicht ärgerlich zu werden. Ich war froh, dass ich höflich geblieben war. Er war ebenso arm dran wie die Frauen, die für ihre Dienste bezahlt wurden und ebenfalls keine Schmähung verdient hatten. Er seufzte und gab nach einem weiteren Zögern mein Knie frei. Etwas verlegen stand er auf. Ich erhob mich mit ihm und reichte ihm die Hand. Er ergriff sie überrascht.
»Viel Glück noch«, sagte ich. Er zuckte mit den Schultern und wandte sich unentschlossen zum Gehen. Ich beobachtete ihn, wie er sich wieder zu seinem Kameraden gesellte und den Kopf schüttelte.
Einer der maskierten Männer stand auf, stieß einen gellenden Pfiff aus und streckte dann die Arme nach den Tänzerinnen aus. Eine von ihnen löste sich aus dem Reigen, tänzelte auf ihn zu und sank in seine Arme. Der Maskierte war von zarter Gestalt; die Tänzerin riss ihn um und fiel mit ihm in die Kissen. Großes Gelächter erhob sich. Sie zupfte vorsichtig an seiner Maske,
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