Die schwarzen Wasser von San Marco
Die Dunkelheit war vollkommen; das Licht der Fackeln aus dem Treppenhaus erhellte kaum eine halbe Mannslänge vor mir. Ich horchte, ob der Mann vor der Saaltür es sich anders überlegt hatte und die Treppe hochstieg, aber alles blieb still. Ich beschloss, es zu riskieren; ich huschte die Stufen hinunter und nahm eine Fackel aus ihrer Halterung. Als ich in das Dachgeschoss eindrang, musste ich mich fast bücken.
Leere Bettgestelle, gähnende Kamine, ein paar Truhen, Unschlittkerzen in tönernen Haltern waren zu sehen, doch nichts davon schien im Lauf der letzten Jahre in Gebrauch gewesen zu sein. Eine dicke Staubschicht lag über allem. Chaldenbergen hatte vermutlich nur den Saal und den großen Raum dahinter bewohnt, und das spärliche Mobiliar gehörte zum Haus. Ich stolperte in eine kleine Schlinge, die in Fußhöhe an einem Balken befestigt war, und befreite mich mühsam davon. Offenbar versuchten Chaldenbergens Dienstboten den Verlust der Katzen durch Fallenstellerei auszugleichen.
In einer der Kammern, die von der Treppe am weitesten entfernt lagen, fand ich schließlich etwas zu essen: Brot, kaltes Fleisch, einen Krug mit stark verdünntem Wein und einen Becher, in dem ein Rest klebriger, stark nach orientalischen Gewürzen riechender Flüssigkeit war. Calendars entführter junger Prinz kam mir in den Sinn, womöglich wegen des fremdländischen Duftes. Auf dem Boden waren nasse Flecken, an denen meine Schuhsohlen hängen blieben. Wer immer die klebrige Flüssigkeit zu trinken versucht hatte, hatte einiges davon verschüttet. Der Geruch der Gewürze hing in dem kleinen, heißen Raum und machte meinen Kopf leicht. Die Schlafstelle war zerwühlt und die Truhen so unordentlich im Raum verteilt, dass es wirkte, als habe man sie von der Tür her hineingeworfen und sich nicht mehr darum gekümmert. Es war nicht ganz der richtige Vergleich, aber etwas Besseres fiel mir nicht ein. Aus einer der Truhen schaute sogar ein Zipfel Leinen heraus. Ich schüttelte den Kopf und schloss die Tür wieder.
Draußen auf dem saalartigen Flur merkte ich erst, wie erstickend der Duft der Gewürze gewesen war. Ich hielt die Fackel tief, um die hölzerne Decke nicht zu verkohlen, und suchte weiter. Ich überlegte, das Risiko einzugehen und Caterinas Namen zu rufen. Dann blieb ich plötzlich stehen, als sei ich gegen eine Wand gelaufen, und schlug mich an die Stirn.
Die Truhen in jenem Zimmer waren nicht hineingeworfen worden. Es hatte eine Auseinandersetzung gegeben. Der Bewohner des kleinen Raums hatte versucht, einem Häscher zu entkommen, und die Truhen herumgeschleudert; das zerwühlte Bett zeugte nicht von unruhigem Schlaf, sondern vom verzweifelten Bemühen eines Menschen, sich irgendwo festzuhalten, während jemand anderer versuchte, ihn aus dem Raum zu schleifen. Der junge Prinz war mir nicht nur wegen des Gewürzgeruchs in den Sinn gekommen, sondern weil die Kammer ein Gefängnis dargestellt hatte. Ich kehrte zurück, schlug den Deckel der Truhe auf, aus der das Stück Leinen schaute, und leuchtete mit der Fackel hinein.
Alle Mädchen aus Raras Haus trugen das helle, schmucklose Gewand; selbst Fiuzetta besaß ihres noch. Caterina war hier untergebracht gewesen, und so wie der Raum aussah, hatte sie ihn nicht freiwillig verlassen. Ich fluchte leise vor mich hin und machte, dass ich wieder hinauskam.
Als ich die Tür zum Treppenhaus öffnete, huschte gerade der Nächste in den Abtritt. Er schlug die Tür zu und schob den Riegel vor. Ich beneidete ihn nicht um das, was er dort vorfand. Ich steckte die Fackel zurück und nutzte die Gelegenheit, zum ersten Geschoss hinunterzulaufen.
Das Gelächter der Männer und das Geschrei der Frauen hallte im Treppenhaus seltsam wider. Es machte den Anschein, als käme es nicht nur aus dem Saal, sondern auch über die Stufen herauf, die weiter ins Erdgeschoss führten. Ich zögerte einen kleinen Augenblick. Dann ging die Saaltür auf, und ich stand auf der Treppe wie das personifizierte schlechte Gewissen. Ich tat so, als würde ich ebenfalls den Abtritt zum Ziel haben. Dessen Tür sprang mir förmlich entgegen, als ich die Hand danach ausstreckte, und ich sah einen kurzen Schimmer blütenweißen Gewandes, bevor sein Besitzer bei meinem plötzlichen Auftauchen erschreckt zurückprallte und sich hart auf das Holzbrett mit dem Loch darin setzte. Er riss entsetzt die Augen auf. Diesen Teil des Bretts würde nun niemand mehr putzen müssen. Er griff nach dem Riegel und schlug die Tür wieder
Weitere Kostenlose Bücher