Die schwarzen Wasser von San Marco
Mannshöhen über ihm nicht sehen; sie wiederum bemühten sich nach Kräften, ihm begreiflich zu machen, dass sie jede seiner Bewegungen genau beobachteten. Calendar hatte der Bordwand den Rücken zugedreht und schien in die dunklen Gassen des Arsenalsviertels zu starren. Von der Piazzetta ertönten neuerlicher Beifall und Hochrufe, die nach einer kurzen Zeit abrupt endeten. Ich hörte keine Knaller, und auch auf der Insel im Kanal tat sich nichts. Die leichte Brise wehte die Fetzen einer erhobenen Stimme herüber, und ich wusste, der Jubel hatte Leonardo Falier gegolten, der sich erneut als Redner auf einem Podium versuchte.
Als ich sich mir nähernde Schritte hörte, stützte ich mich auf die Brüstung der Brücke und versuchte den Eindruck zu erwecken, als hätte ich mir diesen Platz ausgesucht, um das Feuerwerk zu betrachten. Die drei Männer, die an mir vorbeistapften, beachteten mich nicht, obwohl sie so nahe an mir vorbeikamen, dass ich sie riechen konnte: Schweiß und Alkohol. Starres Leder knarrte bei jedem Schritt. Barberro und seine beiden Begleiter liefen mit raschen Schritten die Stufen auf der anderen Seite der Brücke hinab und schlugen den Weg zur Kogge ein. Ich erkannte überrascht, dass es sich um das Schiff des Sklavenhändlers handelte.
Ich war zu weit weg, als dass ich hätte hören können, welche Worte Calendar und Barberro wechselten. Sie gaben sich nicht die Hand, schrien sich aber auch nicht an. Sie wirkten wie zwei Geschäftspartner, die sich nicht unbedingt sympathisch sind, aber zum Segen eines Geschäftes zusammenarbeiten. Barberro bellte etwas zu seinen Wachen hinauf, und eine Hühnerleiter schob sich schwankend über die Reling, tastete wie suchend in der Luft hin und her und knallte schließlich auf das Pflaster. Calendar wartete, bis Barberro und seine Spießgesellen den Laufsteg betraten, dann schloss er sich ihnen an.
Die Wachen zogen die Leiter wieder ein und wandten ihre Aufmerksamkeit vom Kai ab, um zur Piazzetta hinüberzuspähen. Ich huschte über die Brücke und zum Heck der Kogge, wo der bauchige Rumpf und die Heckaufbauten mich vor unliebsamen Blicken verbargen. Ich kam zur rechten Zeit. Das unruhige Licht von Fackeln erleuchtete eine Flucht von kleinen Fensteröffnungen am Heck der Kogge, knapp über der Decklinie, und wurde nach wenigen Augenblicken von der ruhigeren Beleuchtung einer Laterne abgelöst. Das Wasser gluckste zwischen der Bordwand und dem gemauerten Kai. Die Kogge lag mit ihrer Längsseite an der Riva degli Schiavoni vertäut; in Abständen hingen als Puffer prall gefüllte Säcke von der Reling herab, die an den Unterseiten feucht geworden waren und durchdringend nach faulendem Stroh rochen. Es schien, dass Barberros Schiff schon vor einer ganzen Weile hier angelegt hatte. Weitere Säcke lagen unter einer gepichten Plane bereit, ihre verfaulten Kameraden zu ersetzen. Die Plane war beinahe so hart wie ein Brett. Ich kletterte vorsichtig hinauf und hatte das Ohr nun fast auf gleicher Höhe mit den Fenstern. Wenn ich mich ein wenig hinauslehnte und das Tau ergriff, das vom Heck zu einem der massigen Poller auf dem Kai führte, würde ich das Gespräch in Barberros Kajüte fast so gut hören können, als befände ich mich selbst darin.
Es war eine spontane Entscheidung gewesen, zur Kogge zu schleichen und zu versuchen, das Gespräch zu belauschen; und es dauerte einige Augenblicke, während derer ich schwankend auf dem Säckestapel stand und die Bewegungen des Schiffskörpers mein Haltetau einmal strafften, einmal lockerten, bis mir allmählich dämmerte, wie idiotisch ich mich benahm. Calendar war ein Polizist, Barberro ein Sklavenhändler; beide hatten mit meiner Absicht, die merkwürdigen Umstände von Pegno Dandolos Tod
– vom Tod der Gassenjungen
aufzuklären, nichts zu tun; nicht einmal, wenn sich herausstellte, dass sie insgeheim zusammenarbeiteten. Für Calendar war der Fall Dandolo geklärt; der Fall der zwei Gassenjungen war wahrscheinlich bereits abgeschlossen gewesen, als er die Leichen aus dem Wasser gefischt hatte. Barberro suchte nach einem Jungen, um mit ihm ein Geschäft zu machen; Pegno konnte wohl kaum der Junge gewesen sein. Was immer sie besprachen, ihnen zu lauschen konnte nur Zeitverschwendung sein, und statt auf den am Kai gelagerten Prallsäcken eines Sklavenschiffes zu balancieren, hätte ich lieber zu Jana zurückkehren und versuchen sollen, einige meiner Worte ungesagt zu machen.
Dass ich meinen Lauschposten dennoch
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