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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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gesehen hatte, waren diesmal viele Frauen anwesend. Sie hatten sich zurechtgemacht, ihre haarlosen Gesichter mit grellen Farben geschminkt (mancher Mann stand ihnen darin kaum nach) und ihre Frisuren mithilfe von Tüchern, Geschmeiden und falschen Haarteilen zu fantastischen Formen getürmt. Während die Frauen der einfacheren Schichten in der Nähe ihrer Männer standen, von ihrem Nachwuchs umgeben oder Kleinkinder auf den Armen haltend, befanden sich die Frauen der reichen Patrizier in einem eigenen kleinen Menschenauflauf aus Zofen, Dienerinnen und Ammen, dessen Zentrum sie bildeten. Die Dienstboten trugen Körbe mit Esswaren und Getränken, zupften an den langen Gewändern ihrer Herrinnen oder besorgten kleine Imbisse von den Bäcker- und Metzgerbuden. Deren Besitzer machten seit heute Mittag das Geschäft ihres Lebens; ob auch sie unter denjenigen gewesen waren, die dem Kommandanten der Galeere ihre Glückwünsche in seinem Zelt überbracht hatten? Sie hätten am dankbarsten ausfallen müssen.
    Der Platz summte in Erwartung des Feuerwerks. Kinder kreischten und lachten, Erwachsene riefen sich über die Köpfe der Menge hinweg Scherze zu. Ich sah mich nach den Gassenjungen um, für die diese Veranstaltung sicherlich reiche Beute verhieß, aber ich konnte keinen von ihnen entdecken. Entweder waren sie so geschickt, bis zum Beginn des Feuerwerks zu warten, oder man hatte ihnen den Zugang zur Piazzetta verweigert. Andere Kinder waren dafür zuhauf anwesend. Wo ihre Eltern einfacher gekleidet waren, saßen sie auf den Schultern der Väter oder, wenn sie noch kleiner waren, standen mit wackligen Beinen darauf und hielten sich an den emporgereckten Händen fest. Ihre kleinen Gesichter glühten vor Stolz. Die Mädchen standen in derselben Manier auf den Schultern der Mütter. Selbst Großväter und Großmütter ließen es sich nicht nehmen, einen bettelnden kleinen Kerl hochzuheben und ihn sich auf den krummen Rücken zu setzen.
    In den Familien der Patrizier hingegen übernahmen Sklaven und Dienstboten diese Aufgabe. Ich bemerkte einen kleinen, ernst blickenden Jungen in einem prächtigen Samtgewand auf den Schultern eines schwarzhäutigen Mannes. Er rief etwas zu dem Jungen hinauf und sprang einige Male auf und ab, und das Kind lachte plötzlich vergnügt und patschte dem Sklaven liebevoll auf die Wange. Ein Mann, der sich im Gespräch mit einem weiteren edel gekleideten Patrizier befand, drehte sich um und schüttelte missbilligend den Kopf. Der Sklave duckte sich, und sein kleiner Reiter wurde wieder ernst. Inmitten einer anderen Familie setzte sich eine junge Frau in Dienstbotentracht seufzend auf einen umgedrehten Korb, nestelte an ihrem Dekolleté und ließ sich einen Säugling an die Brust legen, der in eine schimmernde Decke eingewickelt war. Das Kind der Amme lag in ein Tuch eingerollt dicht an ihrem Rücken und schlief. Die Mutter des Säuglings, den die Amme hielt, streichelte gedankenverloren die Köpfchen der beiden Kinder, bevor sie sich wieder abwandte und nach vorn zum Wasser blickte.
    Vor dem Gerüst, von dem aus die Feuerwerkskörper gestartet werden würden, hatte man ein von hell lodernden Fackeln erleuchtetes Podium errichtet. Als die Menge zu klatschen begann, stellte ich mich auf die Zehenspitzen und spähte über die Köpfe der vor mir Stehenden hinweg. Ein Mann mit finsteren Gesichtszügen erklomm das Podium mit einer weiteren Fackel in der Hand und erstickte mit einem feuchten Tuch die Flammen, die zur Menge hin brannten und den Blick auf die erhöhte Plattform erschwerten. Ich kannte sein Gesicht; er war einer der Leibwächter von Leonardo Falier. Wie es aussah, wollte der Zehnerrat eine Rede halten; und offensichtlich hatte er nicht nur das Schauspiel auf dem Campo San Polo, sondern auch diese Veranstaltung finanziert. Ich fühlte plötzlich eine heftige Abneigung dagegen, den Mann sprechen zu hören – ebenso wie gegen den Umstand, dass ich mich inmitten dieser fröhlichen Menge befand. Es braucht kein Feuer, das vom Himmel regnet, um einen Mann in der Hölle schmoren zu lassen, und so drängelte ich mich in Richtung des in Dunkelheit liegenden Arsenals davon.
    Ein vielleicht zehnjähriger Junge deutete auf mich und rief seiner Familie etwas zu, und eine mehrköpfige Gruppe setzte sich in Bewegung, um meinen bisherigen Platz in der Menge einzunehmen. Die Kinder waren von verschiedenem Alter, der Junge der Älteste, und er war der natürliche Anführer, dem die anderen hinterdreinliefen.

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