Die schwarzen Wasser von San Marco
würde bald die nächtliche Ausgangssperre beginnen; womöglich gab es das in dieser Stadt nicht einmal, deren Einwohner Tag und Nacht damit beschäftigt waren, Glanz und Reichtum des Steinernen Schiffs zu mehren. Als ich unschlüssig zwischen der Menge an der Rialto-Brücke stand und mich fragte, aus welchem Grund ich hierher gekommen war, glitt eine Gondel heran. Ihr Steuermann rief mir etwas zu und hielt das Ende eines Seils in einer Hand. Ich zuckte verdrossen mit den Schultern.
Er schien sein Anliegen in mehreren verschiedenen Sprachen zu wiederholen, bis ich ihn verstand: »Wollen Sie zur Piazza San Marco? Sie fahren mit mir?« Er erkannte, dass sein Angebot angekommen war, und grinste. »Keine Boote mehr beim Fondaco, eh? Alle weg?«
»Ich will nicht mitfahren«, sagte ich.
»Keine fuochi d’artificio ? Äh – Feuer? Licht?« Er warf die Arme in die Luft und machte laute Explosionsgeräusche, dann starrte er mit übertriebener Geste in den dunkler werdenden Himmel und rief: »Aaaah, bellissima!« Dass er dabei nicht aus seinem schmalen Gefährt fiel, schien wie ein Wunder; die Gondel schwankte nicht einmal unter seinen heftigen Gesten.
»Auf der Piazza San Marco gibt es ein Feuerwerk.«
» Si, si , und eines auf San Giorgio Maggiore. Ist für … ist für …«
»Ist für die Helden der Aquila «, half ich aus.
Er hielt noch immer sein Seilende in der Hand und vollführte mit der freien Hand winzige Ruderbewegungen, um sein Gefährt auf der Stelle zu halten. »Si, certo!« , strahlte er. »Fahren Sie mit mir?«
Ich drehte mich um. Eigentlich hätte ich in der Nähe Janas bleiben und versuchen sollen, mein idiotisches Verhalten wieder gutzumachen. Jana trug mein Kind; ich wurde Vater. Ich war zu alt für die Angst, die damit verbunden war. Ich war zu alt für die Welt.
»Also gut«, sagte ich. »Ich bin in der Hölle, da passt ein bisschen Feuer, das vom Himmel regnet, ganz gut.«
Der Bootsführer warf sein Seilende einem der Müßiggänger zu, die die Anlegestelle bevölkerten, und dieser zog die Gondel näher heran. Ich kletterte ungeschickt hinein und rechnete jeden Moment damit, auf der anderen Seite hinauszufallen. Der Bootsführer zwinkerte dem Mann zu und grinste dankbar, bevor dieser ihm das Seil zurückwarf. Ein Ruderschlag, und wir befanden uns inmitten des dichten Bootsverkehrs, der ausnahmslos in Richtung der Piazza San Marco unterwegs war. Die bunten Gondeln hatten an Bug und Heck Laternen aufgehängt, deren Lichter sich im dunklen Wasser des Kanals spiegelten und den Sternenhimmel vorwegzunehmen schienen. Ein paar Gondeln trugen zierlich gebogene Dächer, unter denen die Passagiere ungesehen saßen. Auch dort flackerten kleine goldene Lichter und zeichneten die Silhouetten eng nebeneinander sitzender Menschen durch das schwarze Tuch. Mein Bootsführer begann zu singen, ein volltönender, schmetternder Tenor, in den sofort weitere Stimmen aus den anderen Gondeln einfielen. Die Boote glitten über das Wasser wie über ihr eigenes Firmament, die Stimmen der Bootsführer ein unabgestimmter Chor aus allen Richtungen. Es war schön. Wir überholten eine Gondel mit Verdeck, aus dem fröhliches Gelächter erklang. Ich wünschte, ich wäre nicht eingestiegen.
An der Piazzetta standen die Menschen dicht an dicht. Die Matrosen hatten das große Lateinersegel der Aquila gerefft und kletterten jetzt mit Eimern auf dem Quermast herum, um es mit Wasser zu tränken. Auf der Mole direkt vor der Längsseite der Galeere befand sich ein komplizierter Aufbau: das Feuerwerk. Offenbar war geplant, das Schiff in eine kurzzeitige Gloriole einzuhüllen, und wenn diese Huldigung dem Kommandanten auch gefiel, so hatte er doch dafür gesorgt, dass sein Schiff dabei nicht aus Versehen in Brand geriet. Auch an Deck waren Matrosen damit beschäftigt, Wasser auszuschütten und das Holz so nass wie möglich zu machen. Wir mussten warten, bis die Passagiere aus dem Boot vor uns ausgestiegen waren; hinter uns reihten sich die Wasserfahrzeuge ebenfalls in die Schlange ein, um nun darauf zu warten, dass ich ausstieg. Ich zahlte einen meiner Ansicht nach anständigen Preis und griff nach den Armen, die sich mir von der Mole aus entgegenreckten und mich mehr aus dem Boot hoben, als dass ich selbst herausgeklettert wäre. Es wollten noch viele Gondeln anlegen, und man konnte nicht warten, bis eine ungeschickte Landratte von selbst das rettende Ufer erklommen hatte.
Anders als in den Menschenansammlungen, die ich bisher
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