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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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beibehielt, lag nicht an der Erkenntnis, dass Calendar über die Tode der beiden Gassenjungen mindestens so betroffen gewirkt hatte wie ich selbst – oder dass er etwas suchte, was ihn immer wieder an Orte führte, an denen ich mich ebenfalls befand. Vielmehr lag es daran, dass ich jedes Wort, das Barberros raue Stimme hervorstieß, mitbekam, und ebenso alles, was Calendar zu ihm sagte. Die beiden Männer sprachen Flandrisch, eine Sprache, die ich einigermaßen verstand, wenn ich sie auch nicht selbst verwenden konnte. Calendar schien es ähnlich zu ergehen, er setzte seine Worte vorsichtig und manchmal falsch. Barberro hingegen benutzte sie wie seine Muttersprache.
    »Verdammt leichtsinnig von dir, hier einfach reinzumarschieren«, grollte Barberro. »Könnte gut sein, dass dir was zustößt.«
    »Barberro«, erwiderte Calendar gelassen, »nicht einmal du bist so dumm, einem Polizisten etwas anzutun.«
    »Du bist nur wieder Polizist, weil deine Alte sich nicht zu schön war, vor consigliere Falier zu Kreuze zu kriechen.«
    Calendar schwieg eine Weile, während der ich mir die unerwartete neue Information durch den Kopf gehen ließ. Ich vermutete, dass auch Calendar einige Zeit brauchte, seine zur Schau gestellte Gelassenheit wiederzufinden.
    »Ich bedaure, wenn ich dich davon abhalte, das Feuerwerk zu betrachten«, erklärte Calendar schließlich, ohne dass seiner Stimme die geringste Regung anzuhören gewesen wäre.
    »Das Feuerwerk interessiert mich einen Scheißdreck.«
    »Es ist zu Ehren der tapferen Besatzung der Aquila .«
    Barberro schwieg, offensichtlich nicht gerade davon besessen, die Details über den Hintergrund der Feierlichkeiten zu erfahren. Calendar fuhr mit leichtem Ton fort.
    »Die Aquila und die Venator haben eine Seeschlacht gewonnen.«
    »Meinetwegen haben die provveditori der verdammten Galeeren den kürzesten Seeweg nach Indien entdeckt.«
    »Es ging gegen die Piraten, die seit letzten Sommer die Ägäis unsicher machten.«
    Barberro brummte etwas Unverständliches. Ich stellte mir vor, dass die beiden Männer dicht an dicht voreinander standen, Barberro mit hochgerecktem Kinn und vielleicht einem Becher Wein in der Hand, von dem er Calendar nichts angeboten hatte. Der Polizist würde seine ruhige Miene beibehalten haben und mit keinem Blinzeln verraten, ob Barberros höhnische Worte ihn getroffen hatten. Das Schiff trieb leicht vom Kai weg, das Haltetau straffte sich, und ich suchte einen neuen Stand, um nicht hinunterzufallen.
    »Wo ist der Junge?«, fragte Calendar.
    Barberro lachte grob. »Welcher Junge denn, verdammt noch mal?«
    »Du weißt genau, wen ich meine.«
    »Was ist los, Calendar, haben sich deine Vorlieben plötzlich geändert? Musste sich deine Alte von Falier vögeln lassen, damit sie dich wieder aus dem Sumpf holten, und mag sie jetzt nichts mehr von dir wissen?«
    Es blieb eine Sekunde lang still, dann hörte ich ein Rumpeln und Scharren wie von einer heftigen Bewegung; ein Scheppern verriet mir, dass ich mit dem Weinbecher richtig gelegen hatte. Plötzlich erschien Barberros kahl rasierter Hinterkopf an einem der Fenster, und die Art und Weise, wie er nach hinten gedrückt wurde, verriet mir, dass eine erbarmungslose Faust seine Kehle umfasst hielt.
    »Hör auf«, keuchte Barberro erstickt, »lass mich los.«
    Calendar drückte seinen Kopf noch etwas weiter nach hinten. «Du brichst mir das Genick!«, winselte Barberro.
    Calendars Gesicht tauchte am Fenster auf. Ich duckte mich ein wenig in den Schatten des Hecks, aber er richtete keinen Blick auf den Kai unter ihm. Er brachte seinen Mund dicht an Barberros Ohr und sagte halblaut: »Die meisten der Piraten sind beim Gefecht umgekommen. Die Aquila hat ein paar aufgefischt und in Ketten gelegt; zur Feier des Tages hat der Kommandant davon wieder ein paar an das Krähennest gehängt, damit Venedig sieht, welcher Abschaum sich zuweilen auf dem Meer herumtreibt. Diejenigen, die auch das überlebt haben, haben sich dem Rat der Zehn für Fragen zur Verfügung gestellt.«
    Barberro keuchte und versuchte, sich freizustrampeln. Calendar drückte ein wenig stärker zu. Barberro schrie leise auf.
    »Ich brauche nur um Hilfe zu rufen, und du bist tot«, brachte er heraus.
    »Du wirst es aber nicht mehr erleben, wie mich deine Leute umbringen.« Barberro schrie nochmals auf, und ich wusste, dass Calendar ihm bewiesen hatte, dass sein Genick nur noch einer kleinen Dehnung bedurfte, um zu brechen.
    »Verbrannte Füße, ausgerenkte

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