Die schwarzen Wasser von San Marco
hatte das starke Gefühl, dass selbst die Goldgräber, die allnächtlich die öffentlichen Latrinen leerten, ihre Köpfe stolzer trugen, wenn sie von ihrem Broterwerb sprachen.
Enrico Dandolo stand vor einer der Bäckerbuden und biss mit geistesabwesender Miene in ein Gebäck, das er soeben erstanden hatte. Seine Finger glänzten vor Fett. Er hatte sich weit vornübergebeugt, damit nichts auf sein Brokatwams tropfte. Seiner Miene war nicht zu entnehmen, ob ihm das Gebäck schmeckte, oder ob er überhaupt wusste, was er aß.
Ich trat vor ihn hin und grüßte ihn. Er sah überrascht auf und verschluckte sich fast an dem letzten Bissen. Dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht.
»Ah, messère Bernward«, sagte er und fügte etwas hinzu, das sich nach der Frage anhörte, wie es mir ginge.
»Bene« , sagte ich, und er nickte mit dem dümmlichen Grinsen des Mannes, der sich nicht darüber freut, angesprochen worden zu sein, und nun versucht, sich mit Höflichkeit aus der Affäre zu ziehen. Zwischen seinen Zähnen staken noch die Teigreste des letzten Bissens. Nach ein paar Augenblicken würgte er ihn hinunter, deutete plötzlich auf das Gebäck in seinen Händen und dann auf die Bäckerbude. Er machte ein aufforderndes Geräusch und zog fragend die Augenbrauen hoch. Ich nickte. Ich interpretierte seine Pantomime als Einladung.
Er rief dem Besitzer der Bude etwas zu, der schweißüberströmt hinter einer Theke stand und in einem Kessel rührte, aus dem heißer Dampf aufstieg. Der Mann angelte mit einer hölzernen Kelle in seinem Kessel herum und fischte ein knusprig braunes Röllchen heraus, das vor Schmalz troff. Er hieb einem Jungen, der mit hungrigen Augen vor der Bude stand und zusah, auf den Hinterkopf und deutete auf Dandolo, und der Junge packte das Gebäck mit spitzen Fingern und brachte es zu uns herüber. Dandolo nickte in meine Richtung, und der Junge lieferte seine Fracht bei mir ab. Er war nicht so abgerissen wie die Gassenjungen, aber er hatte sichtlich Hunger. Ich nahm das heiße Röllchen und brach es entzwei; die eine Hälfte gab ich dem Jungen, dessen Gesicht aufleuchtete. Er rannte davon, um das unerwartete Geschenk irgendwo zu verzehren. Dandolo nickte mir zu, aber das Lächeln in seinem Gesicht wirkte verzerrt; das war nicht das gewesen, was er mit seiner Einladung beabsichtigt hatte. Er kramte mit der freien Hand in der Börse und schleuderte dem Verkäufer eine Münze zu.
Ich hatte etwas wie die gebackenen Meeresfrüchte erwartet und war überrascht, als ich in etwas Süßes biss. Im Inneren des Röllchens war eine heiße Melasse, die erstickend nach Mandeln schmeckte, aber zusammen mit dem völlig geschmacklosen Teig außen herum gab sie eine ansprechende Mischung ab.
»Grazie« , sagte ich artig. Dandolo zuckte mit den Schultern.
Ich versuchte, ihn in ein Gespräch zu ziehen, was sich als äußerst schwierig gestaltete. Dandolos offensichtliche Maulfaulheit war beinahe ein größeres Hindernis als die Sprachbarriere. Was er dem Mann hinter der Truhe gegeben hatte, konnte ich nicht herausfinden, ohne ihn direkt danach zu fragen, hütete mich aber, dies zu tun. Als ich endlich Pegnos Namen nannte und Dandolo bedeutete, dass mir die Begleitumstände seines Todes merkwürdig erschienen, lebte er zusehends auf.
»Diese Geschichte ist schrecklich«, glaubte ich zu verstehen. »Sein Bruder Andrea ist jetzt Herr der Familie, bis Fabio zurückkehrt, und er versucht Pegnos Stelle in meinem Geschäft einzunehmen. Der Junge ist wie erstarrt vor Schreck. Und Laudomia, Pegnos Mutter … dieses Unglück, dieses Unglück!«
Ich kannte Pegnos Mutter nicht, aber einen vor Schreck erstarrten jüngeren Bruder stellte ich mir anders vor als Andrea Dandolo.
»Pegno ist nicht der einzige Tote«, radebrechte ich, und Enrico starrte mich an, als hätte ich gesagt, ich wolle ihm an die Kehle springen. »Außerdem frage ich mich, was er im Arsenal gesucht hat.«
»Man muss die Sache ruhen lassen«, erklärte Dandolo und machte mit flatternden Händen entsprechende Gesten. »Das Entsetzen ist schon groß genug. Fabio wird gebrochen sein, wenn er zurückkehrt.«
»Fabio hielt nicht so viel von seinem Sohn«, sagte ich. Ich deutete eine Spanne zwischen Daumen und Zeigefinger an. »Poco.«
Dandolo dachte eine ganze Weile nach. Schließlich ließ er den Kopf hängen, dann nickte er.
»Sie haben Recht. Was soll man machen? Ich mochte den Jungen.«
»Sie wollten doch, dass ich mich um Pegnos Verschwinden
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