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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Lippen, die sie spitzte, wenn etwas sie amüsierte, und zu einem weißen Strich zusammenpresste, wenn die Wut sie überkam, und von denen sie fand, sie seien zu schmal. Ihre hoch angesetzten Wangenknochen, über die sie mit ungeduldigen Fingern zu streichen pflegte und sagte, sie gehörten weiter nach unten, damit ihr Gesicht runder würde. Ihr honigfarbenes Haar, das sie zu dunkel fand, um blond, und zu hell, um brünett zu sein. Ihre ganzen vermeintlichen Makel, die sie zu einer Schönheit machten und deren jeder meine Liebe zu ihr vervielfachte.
    Ich saß neben ihr in einer Stille, wie sie noch nie zwischen uns geherrscht hatte, und spürte eine Liebe, die noch nie tiefer gewesen war, und trauerte um jeden Tag, an dem ich sie diese Liebe nicht hatte spüren lassen.
    Schließlich kam Fiuzetta wieder herein und legte mir die Hand auf die Schulter. Ich sah zu ihr auf und fühlte mich dabei so alt, als sei ich ihr Großvater.
    »Sie schläft jetzt«, sagte sie. »Der Kampf ist vorüber. Sie kann nun ausruhen.«
    »Ja«, erwiderte ich, »der Kampf ist vorbei.«
    »Sie hat tapfer gestritten.«
    Ich lächelte matt. »Sie hatte einen treuen Knappen und eine gute Waffe: dich und deine Suppe.«
    Ich stand auf und ließ es zu, dass sie mich an der Hand nahm und aus dem Raum führte. Draußen auf dem Flur vor der Kammer blieb sie stehen und deutete nach unten.
    »Du musst essen und trinken. Giulia hat etwas zubereitet. Trink Wein und lache mit dem schwarzen Mann.«
    »Ich kann nicht lachen, Fiuzetta. Ich habe zu sehr geglaubt, unser Streit von gestern wäre das Letzte, was Jana und ich zueinander hatten sagen können.«
    »Gianna wird gesund«, sagte sie einfach. »Du kannst ihr sagen, dass es dir Leid tut, sooft du willst, wenn sie wieder wach ist. Es macht aber ohnehin keinen Sinn. Wenn sie wieder wach ist, denkt ihr an morgen, nicht an gestern.«
    »Ich fürchte, Jana wird glauben, es gäbe kein Morgen mehr.«
    Fiuzetta winkte ungeduldig ab. »Das sind Worte eines Mannes mit leerem Magen und leerem Kopf. Es gibt immer einen Morgen, auch nach einer ganz dunklen Nacht.« Sie schob mich an, bis ich von selbst die ersten Treppenstufen hinunterstolperte.
    »Und du?«, rief ich über die Schulter. »Hast du keinen Hunger?«
    »Ich habe schon gegessen, gerade eben. Giulia kocht gut. Jetzt geht der Knappe zurück zu seiner Herrin.« Sie zwinkerte mir zu.
    Schließlich gab ich nach und trottete in die Schankstube hinunter, während Fiuzetta in die Kammer zurückkehrte, um den Schlaf zu bewachen, der Jana von der Schwelle des Todes ins Leben zurückbringen würde. Zweifellos würde sie ihre sanfte Hand auf Janas Stirn legen, wenn ein Traumgesicht ihren Schützling quälte, und so die Schrecken des Schlafes verscheuchen. Ich spürte ihr gegenüber eine Dankbarkeit, die kaum in Worte zu fassen war. Wenn ich noch nicht gewusst hätte, dass Fabio Dandolo ein herzloser Narr war, dann wäre es mir spätestens jetzt klar gewesen.
    In der Küche klapperten Töpfe: Julia. Clara und Michael Manfridus hingegen waren nirgends zu sehen. Trotz Fiuzettas Aufforderung verspürte ich keinerlei Hunger. Die erste Krise war vorüber, und ich betete stumm, dass Janas Genesung weiter voranschreiten möge. Aber auch danach würde das Thema noch nicht erledigt sein. Vieles war gesagt worden in diesen kostbaren Augenblicken, in denen Jana erwacht war und ihr Körper sich dazu entschieden hatte, weiterzuleben; noch mehr war nicht gesagt worden. Mir war klar, dass diese Schwangerschaft, so kurz sie auch gewesen war, keine kurzfristige Leidenschaft darstellte. Jana wünschte sich ein Kind – und meine Angst flackerte auf, wenn ich nur daran dachte. Doch es stand mir nicht zu, ihr diesen Wunsch auszureden oder gar abzuschlagen. Es war mir ohnehin nicht möglich; wie sollte ich Letzteres bewerkstelligen? Nicht mehr mit Jana das Bett teilen? Ich liebte sie, und diese Liebe war nicht ausschließlich das ferne Sehnen, das die Troubadoure früherer Zeiten besungen hatten (und sich – bis auf wenige überspannte Ausnahmen – selbst nicht daran gehalten hatten). Ihre Umarmungen, ihre Küsse, ihre Leidenschaft zu teilen, unsere gemeinsame Erregung, die uns von unsicheren Anfängen in eine heiße gegenseitige Erfüllung geführt hatte, die uns jede falsche Scham vergessen und bei jedem Liebesakt jeden Zentimeter unserer Körper neu entdecken ließ: Es gehörte zu unserer Liebe wie das Wissen, dass der eine die bessere Hälfte des anderen war. Und es gehörte, das

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