Die schwarzen Wasser von San Marco
gewissen heruntergekommenen Kogge an der Riva degli Schiavoni bildeten.
Ich machte mich auf den Weg zum Fondaco dei Tedeschi. Ich hatte keinen Zweifel daran, wie der Name des Mannes lautete, der Caterina aufgenommen hatte und den Rara mir nicht verraten wollte: Heinrich Chaldenbergen.
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Ich stellte fest, dass ich mich langsam daran zu gewöhnen begann, wie man in Venedig am besten vorankam. Ich marschierte über den Campo San Simeòn Propheta bis zu der kleinen Brücke, bog dort links ab und wanderte auf der fondamenta weiter, bis ich sicher sein konnte, dass ich aus Ursinos Blickfeld verschwunden war. Dann hielt ich Ausschau nach einem möglichst unbesetzten Boot. Ich fand eines der flachen, schmucklosen Transportboote, dessen barcaiulo Heuballen beförderte, und schaffte das Verständigungsproblem sowie den Umstand, dass er eigentlich ganz woanders hinwollte, mit einer generösen Gabe aus meiner Börse aus der Welt. Wir gaben uns die Hände, und ich hatte einen Bootsführer, der mich zum Fondaco dei Tedeschi rudern würde.
Im nördlichen Abschnitt des Canàl Grande drängten sich die Paläste der reichen Familien dicht an dicht. Die Boote, die an den hölzernen Piers vor den schmucken Fassaden festgemacht waren oder an bunten Stangen hingen, die jemand in den Grund des Kanals getrieben hatte, waren so prächtig herausgeputzt wie bei uns zu Lande die Pferde und Kutschen der wohlhabenden Adligen. In manchen von ihnen saßen livrierte Männer auf Warteposten: persönliche Ruderer, die sich auf Abruf bereithielten, um ihre Herren ohne Verzögerung an ihr gewünschtes Ziel zu bringen.
Nach einer Weile tauchte auf dem nördlichen Ufer ein geradezu bestürzend schönes Haus auf, ein zweistöckiger palazzo , dessen einzelne architektonische Teile vergoldet waren oder in Rot und Blau erstrahlten. Die korinthischen Säulen der Loggien im Eingangsbereich und im ersten und zweiten Geschoss darüber trugen jeweils unterschiedliche Maßwerke; Spitzbögen im Erdgeschoss, ein durchbrochenes Gitter aus gedrungenen Vierpassöffnungen im ersten und ein strenges, schlankes Kreuzmuster im zweiten Geschoss, die beide die prächtige Arkadenreihe im ersten Stock des Dogenpalastes nachzuahmen schienen. Auf der rechten Seite der Hausfassade befanden sich sechs Fensteröffnungen, Kielbögen mit gezopften Rahmen und kleinen Balkonen davor.
Auf einem dieser Balkone stand ein junges Mädchen und betrachtete den Schiffsverkehr auf dem Kanal. Sein Haar war unnatürlich kurz für sein Geschlecht und sein Gesicht von der Manie des Ausrasierens der Augenbrauen und der Stirnpartie verschont geblieben. In seiner markanten Zartheit wirkte es androgyn. Dann richtete sich das Mädchen aus der vornübergebeugten Position auf und streckte sich, und ich sah, dass es sich um einen Knaben handelte. Vor der bunten Fassade war er wie eine Erscheinung, die in keinen anderen Rahmen gepasst hätte. Über die Distanz hinweg schien es, als fiele sein Blick auf mich, und ich starrte ihn versteinert an, bis das beunruhigende Gefühl verschwand, mit jemandem einen Blick zu wechseln, der mehr als fünfzig Mannslängen entfernt aus dem zweiten Geschoss eines Gebäudes herunterblickt. Er wandte sich ab und verschwand hinter wehenden Vorhängen. Er hatte nicht mehr als ein langes weißes Hemd getragen, wie jemand, der gerade sein Bett verlassen hatte, um auf den Balkon zu treten und frische Luft schnappen zu können.
Schräg gegenüber stand auf einem geräumigen freien Platz eine schlichte Markthalle, deren Arkaden das Geschrei unter ihrem Dach bis hinaus auf den Kanal leiteten. Starker Fischgeruch wehte herüber. Die Boote lagen dort so dicht aneinander, dass es von fern wie ein Bootsfriedhof aussah, auf dem die unnütz gewordenen Fahrzeuge achtlos übereinander geworfen waren. Mein Bootsführer steuerte in die nördliche Kehre des Canàl Grande hinein, änderte die Richtung und glitt leicht an die Anlegestelle am jetzt westlichen Ufer des Kanals, zu Füßen der Rialto-Brücke. Ich stieg aus und sah ihm zu, wie er wieder ablegte und mit eleganten Manövern in die jenseitige Fahrrinne hinüberruderte, um nun der Verpflichtung nachzukommen, von der ihn die lockere Börse seines unverhofften Passagiers kurzfristig abgelenkt hatte. Vor dem imposanten Bau des Fondaco dei Tedeschi am jenseitigen Ufer tauchte er im Gewimmel der anderen Fahrzeuge unter. Zwei Männer näherten sich mit ihrem Boot der Anlegestelle, und ich trat beiseite, damit sie anlanden konnten. Sie
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