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Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Titel: Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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seien Sie vernünftig, Mann. Bis um drei war ich in London, danach im Zug. Warum geht das nicht in Ihren Schädel? Erfinden Sie von mir aus irgendwas, aber tun Sie mir einen Gefallen – verraten Sie mir, wann ich den Mann ermordet haben soll.«
    Lewis hatte den Eindruck, daß Morse etwas von seiner Selbstsicherheit abhanden gekommen war. Er griff nach den Papieren, die vor ihm lagen, und blätterte sinnlos darin herum. Irgendwas war ihm schwer danebengegangen.
    »Ich habe nur Ihre Aussage dafür, Mr. Roope« (aha, jetzt hieß es plötzlich Mr. Roope!) »– daß Sie mit diesem Zug nach Oxford gefahren sind. Ich weiß, Sie waren bei Ihrem Verleger, wir haben das nachgeprüft, aber Sie könnten –«
    »Darf ich telefonieren, Inspector?«
    Morse zuckte leicht pikiert die Schultern. »Es ist eigentlich nicht üblich, aber –«
    Roope griff zum Telefonbuch, wählte eine Nummer, sprach ein paar Sätze und reichte Morse den Hörer. Am anderen Ende der Leitung waren Cabriolet Taxis Services. Morse hörte zu, nickte, stellte keine Fragen. »Alles klar. Besten Dank.« Er legte auf und sah Roope an. »Sie hatten mehr Erfolg als wir, Mr. Roope. Haben Sie auch mit dem Bahnsteigschaffner gesprochen?«
    »Nein. Er hatte die Grippe, kommt aber diese Woche wieder in den Dienst.«
    »Da waren Sie ja sehr aktiv.«
    »Ich war beunruhigt, was Sie mir wohl kaum verdenken können. Ständig Ihre Fragen, wo ich war – da mußte ich ja das Gefühl haben, Sie hätten es auf mich abgesehen. Ja, und da habe ich mir eben gesagt, es ist besser, wenn du dich mal umhörst. Wir haben alle einen gewissen Selbsterhaltungstrieb.«
    »Hm.« Morse strich sich mit dem Zeigefinger der linken Hand über die Nase, wählte und ließ sich den Chefredakteur der Oxford Mail geben. »Verstehe. Da sind wir also zu spät dran. Seite 1, sagen Sie? Tja, da kann man nichts machen. Wie ist es unter Letzte Meldungen? Gut. Sagen wir – äh – ›Mordverdächtiger auf freien Fuß gesetzt. Mr. C. A. Roope (s. Seite 1), der heute im Zusammenhang mit dem Mord an Nicholas Quinn verhaftet worden war, wurde heute nachmittag freigelassen. Chief Inspector –‹ Wie meinen Sie? Dafür ist kein Platz mehr? Na ja, besser als nichts. Tut mir leid, daß ich Ihnen zusätzliche Arbeit gemacht habe, so was kommt manchmal vor. Leider. Wiederhören.«
    Morse wandte sich wieder an Roope. »Ja, wie gesagt, so was kommt manchmal vor –«
    Roope stand auf. »Geschenkt. Für einen Tag haben Sie genug geredet. Ich darf also annehmen, daß ich frei bin?« Seine Stimme war ätzend.
    »Ja, Sir. Und wie gesagt …« Er ließ den Satz in der Luft hängen, und Roope sah ihn verächtlich an. »Haben Sie einen Wagen hier, Sir?«
    »Nein, ich besitze keinen Wagen.«
    »Ach richtig. Wenn Sie wollen, kann Sergeant Lewis –«
    »Nein, danke. Ihre Gastfreundschaft habe ich heute schon lange genug genossen. Ich nehme den Bus.«
    Und ehe Morse noch etwas sagen konnte, war er draußen, ging rasch über den Hof und in den sonnigen kühlen Nachmittag hinein.
     
    In den letzten zehn Minuten des Gesprächs wußte Lewis überhaupt nicht mehr, woran er war, ja, er hatte sich dabei ertappt, daß er Morse anstarrte, als sei der ein Kalb mit zwei Köpfen. Was hatte der Chief Inspector sich dabei eigentlich gedacht? Morse hatte sich über seine Papiere gebeugt. Jetzt sah er auf, und ein eigentümlich selbstzufriedenes Lächeln lag um seine Lippen. Er sah, daß Lewis ihn beobachtete, und zwinkerte ihm aufgeräumt zu.
     

26
     
    Der Mann im Haus ist besorgt, aber einigermaßen ruhig. Mehrmals am späten Nachmittag und am frühen Abend läutet das Telefon. Durchdringend und gebieterisch. Er hebt nicht ab, denn er hat gesehen, daß ein Fernmeldetrupp an der Ecke Telefonleitungen repariert hat. Ungeschickt und auffällig. Sie müssen ihn für einen Trottel halten. Dabei weiß er, daß sie durchaus nicht dumm sind, und diese Überlegung geht ihm nach. Immer wieder sagt er sich, daß sie nichts wissen, daß sie nur mutmaßen können, daß sie keine Beweise haben. Vor diesem Labyrinth würde sogar die unermüdlichste Ariadne kapitulieren, das Wollknäuel führt nur in Sackgassen und zu vermauerten Zugängen. Dieses verdammte Telefon. Er wartet, bis die scheinbar unerschöpfliche Geduld des unverschämten Anrufers sich endlich doch erschöpft hat, und nimmt den Hörer ab. Aber er surrt weiter. Unerträglich. Zehn vor sechs stellt er das Transistorradio an und hört – allerdings nur mit einem Bruchteil seiner

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