Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Titel: Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
Ein paarmal hat das Telefon geläutet, und um zwölf meldet es sich wieder. Vier Anschläge, Pause, dann fängt es wieder an zu läuten, und der Mann zählt mechanisch mit. Achtundzwanzig, neunundzwanzig, dreißig. Das Telefon verstummt, und der Mann lächelt vor sich hin. Es ist ein gutes System, sie benutzen es nicht zum erstenmal.
     
    Der Mann draußen wartet immer noch – voller Spannung, denn er glaubt, daß die Stunde der Abrechnung nah ist. Um 16 Uhr 20 merkt er, daß sich hinter dem Haus etwas tut, und eine Minute später taucht der Mann mit einem Fahrrad auf, strampelt rasch auf die Kreuzung zu und ist fünf Sekunden später verschwunden. Es ging zu schnell, war zu unerwartet. Constable Dickson flucht leise vor sich hin und ruft im Präsidium an, wo Sergeant Lewis deutlich sein Mißfallen äußert.
    Wieder ist der Parkplatz sehr voll, wieder steht Morse am Wartesaalfenster. Er fragt sich, was wohl passieren würde, wenn ein heftiger Schneeschauer die Wege mit einer weißen Decke überziehen würde. Dann müßten die verblüfften Autofahrer überlegen, wo sie ihre Wagen abgestellt haben, und genau diese Stelle ansteuern – und wiederfinden. So wie Morse jetzt die Stelle mit seinem Feldstecher wiederfindet. Aber es ist nichts zu sehen. Eine halbe Stunde später, um 17 Uhr 15 ist immer noch nichts zu sehen. Er gibt auf, spricht mit dem Bahnsteigschaffner und erfährt, daß Roope allem Anschein nach mit seiner Aussage nicht gelogen hat, er habe am Freitag, dem 21. November, die Sperre passiert, als sei er mit dem Zug um 15 Uhr 05 von Paddington gekommen.
     
    Als der Mann im Haus am nächsten Tag, Donnerstag, dem 4. Dezember, um halb zehn vor die Haustür tritt, wird er von Sergeant Lewis und Constable Dickson verhaftet. Er wird der Beihilfe zum Mord an Nicholas Quinn und Philip Ogleby angeklagt.
     

28
     
    Der Fall war praktisch gelaufen, und Morse hatte, ein bißchen zu voll von Bier und mehr als ein bißchen zu voll von Selbstzufriedenheit, die Füße auf den Schreibtisch gelegt, als Lewis am Donnerstag nachmittag zu ihm ins Büro kam. »Ich habe ihn gefunden, Sir. Mußte ihn aus dem Unterricht in der Cherwell School holen – aber es war genau, wie Sie gesagt haben.«
    »Ja, damit haben wir wohl alles wasserdicht gemacht und –« Er unterbrach sich. »Sie machen keinen sehr glücklichen Eindruck. Was ist los mit Ihnen?«
    »Ich kapiere immer noch nicht, was hier läuft.«
    »Sie wollen mir doch morgen früh nicht den Spaß verderben?«
    Lewis schüttelte widerstrebend den Kopf, aber er kam sich vor wie ein Examenskandidat, der soeben den Prüfungsraum mit dem Gefühl verlassen hat, daß er seine Sache sehr viel besser hätte machen müssen. »Sie müssen mich für ziemlich dämlich halten.«
    »Keineswegs. Es war ein sehr gerissenes Verbrechen, Lewis. Ich habe einfach Glück gehabt.«
    »Wahrscheinlich habe ich, wie immer, die offenkundigen Hinweise übersehen.«
    »Weil sie eben nicht offenkundig waren, alter Freund. Tja, vielleicht …« Er nahm die Füße vom Schreibtisch und zündete sich eine Zigarette an. »Ich will Ihnen sagen, wie ich auf die richtige Spur gekommen bin. Ich glaube, das Wichtigste an dem Fall war Quinns Schwerhörigkeit. Es war nicht nur eine leichte Behinderung – Quinn war fast taub. Aber er war, wie wir wissen, ungewöhnlich bewandert in der Kunst des Lippenlesens, und eben dieser Kunst verdankte Quinn auch die Erkenntnis, daß einer seiner Kollegen ein Betrüger war. Für Leute, die mit staatlichen Prüfungen zu tun haben, ist es die größte Sünde wider den Heiligen Geist, vorab etwas über Prüfungsfragen verlauten zu lassen. Und genau das hatte einer von Quinns Kollegen getan, und er ist ihm draufgekommen. Ich hatte aber eine weitere offenkundige und sehr viel wichtigere Folge von Quinns Schwerhörigkeit nicht berücksichtigt. Dabei war die Sache sehr einfach, jeder Trottel hätte darauf kommen können. Quinn war ein Genie, wenn es darum ging, den Leuten die Worte von den Lippen abzulesen. Aber er konnte gewissermaßen nur hören, was andere sagten, wenn er sie sehen konnte. Lippenlesen nutzt einem nichts, wenn der Gesprächspartner hinter einem steht, oder wenn draußen auf dem Gang jemand schreit, daß eine Bombe im Haus ist. Wenn jemand bei Quinn klopfte, merkte er es nicht. Aber sobald jemand die Tür aufmachte und etwas sagte, war alles in Ordnung. Noch einmal: Quinn konnte nicht hören, was er nicht sah.«
    »Und darauf soll ich mir einen Reim machen,

Weitere Kostenlose Bücher